Streikende an der HU : Das S-Wort wird fehlen
Schnell hatten Streikbefürworter an der Humboldt-Uni einen gängigen Begriff für die neue Lage zur Hand, nachdem eine Mehrheit ihrer Kommilitonen den Streik kippte. „Streik minus eins“ soll die neue Parole sein. Tatsächlich mag sich inhaltlich nicht viel ändern, wenn es zukünftig statt fünftägigen Streiks vier so genannte Protesttage gibt. Also, was soll’s, ein Tag weniger, Schwamm drüber?
Kommentarvon STEFAN ALBERTI
Diese Sichtweise ist so falsch wie sie mathematisch richtig ist. Denn politische Macht ergibt sich nicht allein aus Zahlen, sondern ebenso sehr aus Begriffen und Stimmungen. Und mit dem gestrigen Beschluss ist ein Begriff weg, der in Auseinandersetzungen wie der um die Uni-Kürzungen Kampfeswille ausdrückt: „Streik“. Protesttage hin oder her, das äußerst plakative S-Wort ist verloren gegangen.
Die gestrige Entscheidung der HU-Studierenden ist umso bedeutsamer, weil sie zwangsläufig Auswirkungen auf die nahen Vollversammlungen an der Freien und an der Technischen Universität hat. Die Einheitsfront der großen Universitäten ist gebrochen. Streikbefürworter werden in den morgigen Versammlungen nicht auf das Beispiel der HU verweisen können.
Der Beschluss kommt etwas überraschend, weil sich an der HU noch Mitte Dezember eine klare Mehrheit für einen Streik aussprach, weil zudem dank der Mahnwache am Roten Rathaus der Protest die Feiertage sichtbar überlebte. Zudem war ein möglicher Endtermin mit der Parlamentsdebatte Ende Januar nicht allzu weit weg.
Dass es dennoch nicht zu einer Fortsetzung kam, zeigt schlicht zwei Dinge: Viele Studierende fragen sich zusehends, warum sie per Streik auf eine Weise protestieren sollen, die allein sie selbst trifft. Und: Eine homogene protestierende Masse „die Studierenden“ gibt es nicht. Streiken für die Weltrevolution und eine gerechtere Güterverteilung statt allein für bessere Studienbedingungen – das wollen einige, aber längst nicht alle.