: Das Rauchen und die Dialektik der Politik
■ Bonn will ein Leben ohne Nikotin: Nur noch die Köpfe der Abgeordneten sollen qualmen
Berlin (taz) – Mit dem Bonner Weihnachtsfrieden ist's vorbei, seit gestern „tobt der Raucherkrieg“ (Bild). Der Fakt: Durch eine überfraktionelle Initiative soll der Bundestag per Gesetz das Qualmen in der Öffentlichkeit verbieten. Nur in festgelegten Reservaten wie „Raucherkneipen“ dürfen die Tabakfreunde dann noch ihrem süchtig-sündigen Vergnügen frönen.
Wenig erstaunlich, daß die Zigarettenindustrie diesem Ansinnen streng ablehnend entgegensteht. Doch auch unter den Anti- Paffern gehen die Vorstellungen auseinander, wie den unseligen Düften und Emmissionen beizukommen ist. Entweicht, wenn die „Köpfe der Politiker qualmen“ (Berliner Zeitung), nur heißer Dampf?
Der FDP-MdB Dieter Thomae etwa bereichert das Sommerlochthema, das plötzlich mitten im Winter die Nachrichten füllt, mit dem Vorschlag eines Bonussystems für Nichtraucher: Die sollen weniger an die Krankenkassen zahlen – nur, wie die eigene Abstinenz nachweisen? Durch freiwillige Bluttests, sagt Thomae. Er sagt nicht, wer das bezahlen soll: Schon für die von Seehofer erwünschten Aids-Tests wären 1,8 Milliarden Mark angefallen.
Der Sozialdemokrat Horst Peter will lieber Risikozuschläge auf Kippen, weil das Gesundheitswesen von den faulenden Raucherbeinen belastet wird. Eben dies tun Raucher nicht, Peters Argumentation gehört in den Aschenbecher der Geschichte: Die klassischen und teuren Alterszipperlein entfallen bei Rauchern, bevor sie richtig krank werden, sterben sie wegen der niedrigen Lebenserwartung weg. Und nichts, Herr Peter, ist billiger als der Tod! Gar nicht zu reden von den gesparten Rentenzahlungen an die Frühverschiedenen: Schätzungen gehen von 100.000 Rauchertoten pro Jahr aus.
Nun hat das Forsa-Institut ermittelt, daß 65 Prozent der Bundesbürger die Bonner Initiative unterstützen. Interessant dabei: In Ostdeutschland tun es 78 Prozent. Das Motiv ist unklar: Möglicherweise stinken die Karo und F 6 mehr als die parfümierten Weststengel; oder der Ostmensch hat's einfach gern autoritär verordnet.
Diese Einstellung könnte sich bald ändern, wenn in Bonn ein Abgeordneter den Arbeitsmarkt entdeckt. Derzeit wird nämlich in Thüringen mit Mitteln der EG der Tabakanbau gefördert. Könnte also sein, daß es bald in der Werbung heißt: Achtung: Nichtrauchen gefährdet Arbeitsplätze. Das Problem ist ja wirklich nicht einfach zu verstehen: Brüssel läßt sich ein raffiniertes Präventionsprogramm gegen das Rauchen Millionen kosten, aber mit mehr als der zehnfachen Summe ermuntert sie Landwirte zum Umstieg auf Tabak. Das ist real existierende Dialektik in der Politik! Herr Thömmes
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