■ Das Projekt: Service-Betriebe
Kann Migrationskrankheiten vorgebeugt werden? Es kann. Das beweist das Projekt „Service-Betriebe“, das Anfang 1993 in Frankfurt ins Leben gerufen wurde. Die Absicht dieses Projekts ist in erster Linie Beschäftigung von Frauen, die über längere Zeit arbeitslos waren, weil sie keine Berufsausbildung besaßen. Auserwählt wurden unter etwa hundert Bewerberinnen 22 Frauen aus zehn Nationen – auch deutsche sind dabei –, die bereit sind, in dem Betrieb zu arbeiten, sich gleichzeitig ausbilden zu lassen und ab 1995 den Betrieb zu übernehmen.
Bis dahin erhalten die Frauen ihre Löhne vom Arbeitsamt Frankfurt, Maschinen, Räume und Ausbildung werden mit den Geldern aus dem Programm NOW (New Opportunities for Women) des Europäischen Sozialfonds finanziert. Der Betrieb bietet Dienste an in Wäscherei, Schneiderei, Partyservice und Familienservice. Die Küche ist international, bei Bedarf werden auch Personal und Geschirr zur Verfügung gestellt. Träger des ungewöhnlichen Projekts ist der „Verein für psychosoziale Beratung ausländischer MitbürgerInnen“, Mitglied beim Diakonischen Werk in Hessen und Nassau.
Für die meisten Frauen ist die Mitarbeit bei diesem Projekt gleichzusetzen mit dem Beginn eines neuen Lebens, mit der Rettung aus der Isolation, aus dem hoffnungslosen resignierenden Dasein, aus der Einsamkeit. Endlich werden sie wieder gebraucht, sie haben einen geregelten Tagesablauf, festes Einkommen und die Aussicht darauf, daß sie in nächster Zukunft zu selbständigen Unternehmerinnen werden. Denn der Betrieb geht nach Ablauf der festgesetzten Frist in den Besitz der Frauen über. Ausländische Frauen, die trotz längeren Aufenthalts in Deutschland keine Gelegenheit hatten, die Landessprache zu lernen, besuchen gleichzeitig Deutschkurse. Dies alles verleiht den Frauen eine erstaunliche Stabilität, ein neues Selbstbewußtsein.
Carolyn Noé, psychologische Beraterin des Betriebs, ist mit der bisherigen Entwicklung des Projekts recht zufrieden: „Es ist nicht nur die Arbeit, die die Frauen froh stimmt. Das Gefühl, Verantwortung übernehmen zu können, steigert ihr Selbstwertgefühl.“ Als Beispiel erwähnt sie eine Frau, die früher oft ohnmächtig wurde und unter starken Depressionen litt. Jetzt, nach einem halben Jahr, sei sie wie verwandelt. Schon das Gefühl, morgens nicht ohne Grund und Ziel aufstehen zu müssen, sei für sie so aufmunternd und belebend, daß sie inzwischen ihre anfangs noch spürbare Lethargie längst abgelegt habe.
Interessant sei auch der Umgang der Frauen miteinander. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft bestehe zwischen ihnen ein beeindruckendes kollegiales Verhältnis. Unterstützt durch tägliche Teamgespräche und gelegentliche Einzelberatungen, werden auftauchende Probleme gelöst. Auch wirtschaftlich befindet sich der Betrieb im Aufwind. Die Aufträge häufen sich, und obwohl das Ziel einer selbständigen Geschäftsführung ohne Unterstützung noch in weiter Ferne liegt, sind die künftigen Unternehmerinnen recht zuversichtlich.
Es gibt in Deutschland unzählige Beratungsstellen, Forschungsprojekte, Initiativen, die sich auch mit den Problemen der Migration beschäftigen, oft ohne positive Ergebnisse. Wäre es nicht ratsam, zumindest einen Teil der Gelder, die dafür verwendet werden, für Projekte wie „Service-Betriebe“ zu investieren?Bahmann Nirumand
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen