■ Das Privileg der Opposition: Linkssein hat wie immer Zukunft
So langsam kommt unser Weltbild wieder in Ordnung. Linkssein hat Zukunft – und zwar die gleiche, die sie schon immer hatte: ineffizient wie stets, aber so herrlich schön zur Selbstbefriedigung geeignet.
Die in vielen Staaten erkennbare leichte Erholung schon totgeglaubter Parteien linker Provenienz und die wiederbelebte Diskussion um alt-neue soziale Werte aus dem Tagebuch aufrechter Sozialisten versichern uns: Wir haben überlebt. Und je leichthändiger die rechten Regierungen sich halten, und je rechter diese sind, um so energischer wird uns klar, links muß sein, was immer das auch bedeuten soll: Marx-Orthodoxie oder Revisionismus, Stalinismus oder Sozialökologie oder auch bloß menschenfreundliches Denken Marke Gleichheitfreiheitbrüderlichkeit. Wenn schon nicht das Vaterland dazu aufruft, dann der Internationalismus oder sonst irgendein Schlagwort. Wärmen können wir uns jedenfalls daran, die Gläubigen unter uns gar auf einen Platz im Paradies hoffen.
Gleichzeitig aber ist der Kelch des Regieren-Müssens auch gnädig an uns vorbeigegangen. In einigen Fällen energisch und um viele Prozent, in anderen nur um ein paar Mandate, aber jedenfalls sind wir nun sicher, weiter das tun zu dürfen, was wir immer so gerne getan haben: Opposition betreiben. Wo kämen wir auch hin, wenn wir nicht nur regieren, sondern uns von anderen unser Privileg auf die Opposition nehmen lassen würden?
Opposition, das heißt von „links“ her gesehen: Antifaschismus, Antikapitalismus, Antirassismus, Antimachismus, Antiautoritarismus und so weiter und so fort. Ein Wertegerüst, das längst keines mehr ist, weil es keine Werte mehr enthält, wohl aber ein Gerüst – wie eine Baustelle, innerhalb derer jemand den einst stolzen Bau geklaut hat, und nur die Rampen und Gestelle drumherum sind noch aufgebaut. Rings um uns verändern die Rechten die Welt, basteln sich ihre Bastionen und überzeugen die Bürger, daß nur da drin wirklich Schutz zu finden ist – und wir stehen draußen mit unseren alten Begriffen und hehren Gefühlen und versuchen den Leuten klarzumachen, daß sie lieber in Antibastionen leben sollen, von denen keiner weiß, was sie eigentlich sein sollen.
Vielleicht ist es gar nicht so, daß nur unser Weltbild wieder in Ordnung gekommen ist – vielleicht ist die Welt auch wirklich so in Ordnung. Enzo Piccoli
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen