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Das Prinzip Stammeln

Thikwá und Ramba Zamba – Ansätze für Behindertentheater in West und Ost  ■ Von Matthias Schad

Menschen mit geistiger Behinderung auf der Bühne des Podewil oder gar des Deutschen Theaters? Ist das nicht wie eine „Freakshow“ auf dem Jahrmarkt? Wirkt das nicht wie Dressur, wenn sie da hineingezwängt werden in eine für sie nicht mehr nachvollziehbare Geschichte und Choreographie? Diesem – meist hinter vorgehaltener Hand gemachten – Vorwurf begegnen die beiden Berliner Gruppen, die seit vier Jahren professionelles Behindertentheater machen. Die im Westen hat keinen festen Spielort und heißt Thikwá. Die im Osten heißt Ramba Zamba und gehört zur „Sonnenuhr“, einer Kunstwerkstatt für Behinderte in der KulturBrauerei. Beide Gruppen sind sehr ambitioniert und haben sich von der ursprünglich kunsttherapeutischen Intention ihrer Arbeit schon lange entfernt. Sie wollen künstlerisch ernst genommen werden und nicht vom „Behindertenbonus“ profitieren.

Die westliche Variante: Christine Voigt, eine Schweizer Kunsttherapeutin und Schauspielerin, entwickelte nach dreijähriger Theaterarbeit im Jugendwerkheim Zehlendorf ein sehr ehrgeiziges Projekt, das Modellcharakter haben sollte: Die Zusammenarbeit von nichtbehinderten Schauspielprofis und behinderten Theateramateuren als Vorbild für eine neue Form der Begegnung zwischen „Gesunden“ und „Geschädigten“. Der Name des Theaters „Thikwá“ bedeutet vielsagend „Knoten“ oder auch „Hoffnung“. Behinderte sollten nicht länger als mangelhafte Wesen begriffen werden und Nichtbehinderte keine selbstgenügsamen Übermenschen mehr sein.

Der „Defizienz“ der behinderten Darsteller sollte aber nicht nur naiv deren Spontaneität, Lebenskraft und Eigenwilligkeit entgegengesetzt werden. Die Leiter von Thikwá wollen ein experimentelles Theater, das die Sprunghaftigkeit und Alogik der „behinderten“ Ausdrucksweise nutzt. Also keine Märchentexte mehr, die dann brav nachgestammelt werden müssen, wie es der gängigen theatertherapeutischen Praxis entsprach. In der ersten Aufführung zum Thema Kaspar Hauser wurde das Gestammel zum Prinzip erhoben. Das wirkte zwar alles recht experimentell und chaotisch, aber der wilde Aktionismus der Profis schien die Laienhaftigkeit der Amateure doch eher kaschieren zu wollen, als sich mit ihr auseinanderzusetzen.

Das änderte sich. In der dritten Produktion, „Arche Noah“, gelang das programmatische Zusammenspiel von behinderten und nichtbehinderten Schauspielern, überzeugende Bilder gelungener Integration wurden gefunden. Seine fruchtbarsten Momente hatte die Inszenierung aber gerade da, wo nicht alle verrückt und behindert spielten, sondern die gegenseitige Behinderung von Laien und Profis und die unüberwindbare Kluft zwischen Behinderten und Nichtbehinderten auf der Bühne ausgetragen wurde.

Abschied von der Kunsttherapie

Mit der letzten Produktion, einem Stück von Gertrude Stein, verabschiedete sich Thikwá endgültig von allen kunsttherapeutischen Ansätzen. Der Star des Abends war die behinderte Anke Schmidt, ein großes Improvisationstalent, die den herrlichsten Unsinn zum besten gab. Die Konfrontation mit dem entsprechenden Nonsens der Stein-Texte wäre eigentlich gar nicht mehr nötig gewesen. Der Übergang von der körperorientierten Theaterarbeit zum Sprechtheater wirkte konstruiert, und nicht die Behinderten wurden zum Vorwand professionellen Schauspiels, sondern umgekehrt, die Profi-Schauspielerin hatte auf der Bühne nichts mehr verloren. Das wird bei der nächsten Komödie unter der Regie von Adriana Altaras mit Schauspielern der „Westlichen Stadthirschen“ hoffentlich nicht passieren. Nächstes Jahr wird Thikwá eine Theaterwerkstatt für geistig Behinderte einrichten. Damit wäre endlich die Möglichkeit für eine kontinuierliche Ausbildung der behinderten Schauspieler gegeben.

Die östliche Variante: Das Sonnenuhrtheater Ramba Zamba ist hervorgegangen aus der Theatergruppe „Zirkus Bimbo“, die noch zu DDR-Zeiten von der Schauspielerin Gisela Höhne gegründet wurde. Öffentliche Auftritte waren unerwünscht. Nach der Wende konzipierten Gisela Höhne und Klaus Erforth, ehemals Regisseur am Deutschen Theater, ein „Kulturelles Zentrum für Menschen mit geistiger Behinderung und Andere“. Daraus wurde später die „Sonnenuhr“, die im Kesselhaus und im Pferdestall der KulturBrauerei eine feste Spielstätte für ihr Theater schuf. Das Engagement der beiden Theaterprofis Höhne und Erforth für die Sache der Behinderten beruht auf persönlicher Betroffenheit. Sie sind Eltern eines inzwischen 18jährigen mongoloiden Sohnes, der festes Ensemblemitglied ist.

Ihre Abneigungen gegenüber allen therapeutischen und pädagogischen Vorgaben beruht vor allem auf der schlechten Erfahrung mit der Funktionalisierung der Künste zu sozialistischen Zeiten. Das erste Stück von Ramba Zamba, „Prinz Weichherz“, war dementsprechend konventionelles Sprechtheater, das an der Kohärenz einer Geschichte festhält. Die Memorierfähigkeit der einzelnen Behinderten ist stark gefordert. Hinzu kam, daß das ganze Stück leider an der Spielkunst und Tagesform einer Person hing und die übrigen Darsteller zur Staffage machte. Am Ende der Vorstellung wurde jedes Kind dann einzeln zur Verbeugung geführt – dieser pädagogische Vorgang charakterisierte die gesamte Theaterarbeit.

Am liebsten ohne Helfer

Für Höhne und Erforth stellte sich die Frage, wie Behindertentheater möglich ist, ohne Helfer am Bühnenrand. Eine erste Antwort darauf haben sie mit ihrer zweiten Inszenierung gefunden, mit „Winternachtstraum“, frei nach Shakespeare. Die märchenhafte Vorgabe ist mit ihren unübersehbaren Beziehungskisten ein in Behindertenwerkstätten sehr aktuelles Thema. Diesmal sind alle Darsteller gleichermaßen gefordert, und Gisela Höhne und andere Betreuer der Gruppe spielten selber mit. Gezeigt wird ein buntes Bild von dem, was sich im grauen Alltag der Werkstätten abspielt. Während das Theaterlaboratorium Thikwá mit Formen experimentiert, läßt sich die Arbeit von Ramba Zamba eher als an Inhalten orientiert beschreiben: pragmatische Behindertenpolitik auf der Bühne.

Morgen findet um 11 Uhr im Deutschen Theater, als Gemeinschaftsprojekt mit Sonnenuhr, eine Matinee zum Thema Euthanasie statt: „Der Mord an nutzlosen Essern“. Schauspieler lesen Texte von Behinderten. Als musikalisches Highlight tritt der bekannte Klezmer- Klarinettist Giora Feidman auf und spielt mit behinderten und nichtbehinderten Musikern.

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