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Archiv-Artikel

Das Prinzip Hoffnung

JUBILÄUM Der Theater Thikwa e. V. wird 20 Jahre alt und inszeniert Shakespeares „Sommernachtstraum“. Gründe zu feiern gibt es zur Genüge. Nicht aber dringend benötigtes Geld

Im Wald, der Welt der Musik, des Zaubers, scheint jeder seinen Platz und seine Rolle gefunden zu haben

VON CARLA BAUM

Eigentlich klappt noch gar nichts, zehn Tage vor der Premiere des „Sommernachtstraums“. Gerade haben die Handwerker ihr Lied vergessen, das während des Bühnenumbaus gesungen wird, und die schwere Leiter ist Wolfgangs Kopf gefährlich nah gekommen. Plötzlich steht Patrizia auf der Bühne. „Huch, was machst du denn da, du kommst doch erst in der nächsten Szene“, ruft Regisseurin Anke Rauthmann und lacht. Der Stress steht ihr trotzdem ins Gesicht geschrieben.

„Unterprobt“ ist das Wort der Stunde, Rauthmanns Blick huscht ständig zu ihrem Zettel. Wenn sie aufgeregt etwas über das Stück erzählt, das hier im Theater Thikwa auf die Bühne gebracht werden soll, kann man gar nicht alles davon behalten. Opernelemente soll es geben, Tanz, eine Kampfszene wurde dazuerfunden und zwei Sonette eingebaut. 20 DarstellerInnen treten im „Sommernachtstraum“ auf, davon fünf Externe und fünfzehn „Thikwas“ mit verschiedenen körperlichen und geistigen Behinderungen. Keine einzige Szene funktioniert richtig an diesem grauen Mittwochnachmittag, es könnte ein wahnsinnig frustrierender Probentag sein. Ist es aber nicht. Denn Hoffnung, was das hebräische thikwa auf Deutsch bedeutet, hält die Gruppe zusammen. „Wird schon alles – am Ende“, sagt Rauthmann überzeugt.

Weit gereiste Truppe

Der Druck ist groß, es ist das Jubiläumsstück. Der Theater Thikwa e. V., zu dem das Theater und eine Kunstwerkstatt zählen, wird dieses Jahr 20 Jahre alt. Der „Sommernachtstraum“ soll der Höhepunkt der Feierlichkeiten werden. Das Thikwa hat sich längst einen Namen gemacht in der freien Berliner Theaterszene. Erfolgsgeschichten schmücken den Rückblick auf die letzten zwei Jahrzehnte. Wachsende Besucherzahlen, gute Kritiken. Das Ensemble zählt mittlerweile 40 Leute, es gibt eine lange Warteliste. Seit 2008 hat es mit dem Kreuzberger F40 in der Fidicinstraße auch endlich eine feste Spielstätte, die es sich mit dem English Theatre teilt. Diese ist, so verblüffend das klingen mag, die deutschlandweit erste barrierefreie Spielstätte (für die SchauspielerInnen). Die Thikwas sind weit gereist, zu Theaterfestivals nach Moskau und Japan. Es gibt also mehr als einen guten Grund, das Jubiläum zu feiern.

Doch es war auch ein steiniger Weg, den das Theater Thikwa die 20 Jahre zu gehen hatte und immer noch geht. Es fehlt nicht an Anerkennung, nicht an lobenden Worten, dem Thikwa wird von allen Seiten eine Vorreiterrolle in Sachen Inklusion zugeschrieben. Es fehlt vor allem an Geld. Für den „Sommernachtstraum“ hat das Thikwa Glück gehabt, die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin übernimmt die Produktionskosten. „Aber wir wissen nie, wie es das nächste Jahr weitergeht“, klagt die künstlerische Leiterin, Gerlinde Altenmüller. Verzweiflung und Frustration sind ihr anzumerken. „Wir haben einen tollen Spielplan für 2012, aber null Ahnung, wie wir alles finanzieren sollen.“

Die Basisförderung des Kultursenats reicht vorne und hinten nicht, fast die Hälfte davon geht allein für die Miete drauf. Sie ist außerdem immer auf zwei Jahre begrenzt, im Januar geht das Bangen darum von Neuem los. Trotz neuer, aufwendig umgebauter Spielstätte erhält das Thikwa keine Spielstättenförderung. „Das Thikwa fällt oft durch das Raster der Kriterien von Kulturförderern“, sagt Altenmüller. Die Existenz an der Grenze von sozialer und kultureller Einrichtung ist eigentlich das „gewisse Etwas“ des Thikwa. „Kunst ohne soziale, gesellschaftliche Aspekte ist doch hohl“, sagt Altenmüller, „bei uns gibt es diese Schnittstelle auf direkte, nicht abstrakte Weise.“

Doch diese Besonderheit bewirkt auch, dass das Theater ständig zwischen Kulturförderung und Sozialförderung hin- und hergeschickt wird. „Manchmal denke ich, ich schmeiße das Handtuch“, sagt Altenmüller traurig. Die vielen Ungewissheiten rauben Energie und Kraft.

Natürlich, hofft man, sagt sie das nur so. Denn schaut man sich die Thikwas beim Proben an, wird sofort klar: Da stehen keine Behinderten auf der Bühne, mit denen ein bisschen Theater gemacht wird. Hier arbeiten charismatische, künstlerisch begabte Menschen, die körperliche und/ oder geistige Einschränkungen haben. Eben diese Besonderheiten der SchauspielerInnen sind es, die alle gleichermaßen in den Bann ziehen. Altenmüller wünscht sich nichts sehnlicher für das Thikwa, als dass es diese Vielseitigkeit öfter und regelmäßiger unter Beweis stellen könnte. „Doch dafür brauchen wir dringend eine stabile Grundförderung.“

Wunder dauern eine Woche

Eine Woche später ist die Generalprobe. Und plötzlich ist es kaum vorstellbar, dass hier nur eine Woche vorher noch nichts funktioniert haben soll. Im Wald, der Welt der Musik, des Zaubers, scheint jeder seinen Platz und seine Rolle gefunden zu haben. Stimmgewaltige Opernelemente wechseln sich ab mit humorvollen Szenen, denen die SchauspielerInnen eine mitreißende Unmittelbarkeit und Direktheit verleihen. Es wird gelacht. Es wird geträumt. Die Themen Liebe, Erotik, geheime Wünsche, Fantasien vereinen behinderte und nichtbehinderte DarstellerInnen auf einer gemeinsamen Ebene. Dieses Theater wird, muss es noch lange geben. Man wünscht dem Thikwa, dass dieser Gedanke nicht bloß als Hoffnung, sondern als Gewissheit existieren kann.

■ An beiden Tagen des Wochenendes sowie Do., 20. bis So., 23. und Mi., 26. bis So., 30. Oktober, ebenso Do., 3. bis So., 6. November, jeweils 20 Uhr. Tickets: 18 €, erm. 12 €. F40, Fidicinstr. 40, Kreuzberg