■ Gerd Albrecht kündigt bei der Tschechischen Philharmonie: Das Prager Jagdkonzert
Halali, jetzt ist eine lange, jammervolle Jagd zu Ende! Gestern hat Gerd Albrecht, erster nichttschechischer Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie, offiziell seinen Vertrag gekündigt. Viele Tschechen werden nun froh sein darüber, daß endlich ein sauberer Schlußstrich gezogen werden kann unter die seit gut zwei Jahren schwelende schmutzige Affäre. Die Hardliner unter den tschechischen Nationalisten, die intriganten Funktionäre in der Kulturverwaltung werden sogar triumphieren. Dank jahrelanger Wühlarbeit konnten sie selbst Staatspräsident Václav Havel auf ihre Seite ziehen. Gerd Albrecht, der unerwünschte Ausländer, der häßliche Deutsche und kantige nordische Polterkopf, war in den letzten drei Wochen endlich endgültig isoliert, eingekreist und zum Abschuß freigegeben. Nur, wie es aussieht, hat man in der Hitze des Jagdeifers nicht an die Folgen gedacht.
Aus Prag verlautet, daß zahlreiche Musiker das Orchester verlassen wollen, sogar zwei der drei Konzertmeister sollen jetzt ihren Abgang erwägen. Fällt der Chefdirigentenposten tatsächlich an den seit Wochen lancierten Jiři Belohlavek, dann ist auch schon die nächste Krise des Orchesters vorprogrammiert: Diesen Chef hatte man schon mal, das Orchester hat ihn einst, mit einer Zweidrittelmehrheit, ausdrücklich abgewählt (und zwar, um Albrecht zu küren). Wenn zudem, wie vom Kultusministerium vorgeschlagen, künftig drei Chefdirigenten rotieren sollen, ist der Niedergang des musikalischen Niveaus besiegelt. Ganz abgesehen davon, daß mit Albrechts Sturz auch Kontakte und Kontrakte für Konzerttourneen und Plattenaufnahmen hinfällig werden. Die Tschechische Philharmonie ist arm dran. Sie ist das wahre Opfer, geschlachtet auf dem Altar vorgeblich nationaler Interessen. In Wahrheit aber der Machtpolitik einer Funktionärsclique geopfert, die unter nationalistischem Wortgeklingel ihre Pfründe sichern wollte.
Ganz abgesehen davon, daß mit dem Prager Schlußstrich auch ein deutsch-tschechisches Experiment gescheitert ist: der Versuch, wenigstens in dem wunderbar weiten, Herz zu Herzen führenden Weltreich der Musik eine Art Frieden zwischen diesen beiden so tief verletzten und einander mißtrauenden Völkern zu stiften. Die Tschechische Philharmonie hat unter Antonin Dvořák und Smetana gespielt, Bruckner und Brahms, Ullmann und Haas. Nicht weil die einen tschechische und die anderen deutsche oder österreichische Komponisten sind, sondern, wie Albrecht erklärte, ganz einfach weil es „gute, hervor-
ragende Musik ist ... europäische Musik von Welt-
geltung“. Eleonore Büning
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen