Das Portrait: Der Reformator
■ Jan Hus
Mitten im Ersten Weltkrieg geschah auf dem Prager Altstadtring Ungeheuerliches. Dem Kirchenreformator Jan Hus wurde ein Denkmal gesetzt. Jahrhundertelang hatte die Habsburgermonarchie die Erinnerung an den Rektor der Prager Karlsuniversität unterdrückt. 500 Jahre nach seiner Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen in Konstanz am 6. Juli 1415 versuchte die Donau-Monarchie auf diese Weise die Tschechen bei der Stange zu halten. Die Rehabilitierung des Reformators bedeutet das freilich noch lange nicht. Weitere 80 Jahre mußten vergehen, bis eine ökumenische Kommission den Fall Hus neu aufrollte. Ihr Ergebnis verkündete nun der Prager Erzbischof Miloslav Vlk: Hus sei Opfer eines politischen Kalküls des damaligen deutschen Kaisers Sigismund geworden. Denn dieser habe dem Rektor vor seiner Reise an den Bodensee freies Geleit zugesagt. Chaotische Zustände, so Vlk, hätten damals in der Kirche geherrscht.
Womit der Erzbischof nicht unrecht hat. 4.000 kirchliche Würdenträger, Nonnen und Klosterbrüder wirkten zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Prag. Doch statt Gottesdienste abzuhalten, verpraßten die Glaubensbrüder die Kirchensteuer in den Prager Altstadtkneipen. Kein Wunder also, daß die Prediger, die eine Kirchenreform forderten, Zulauf hatten. 5.000 Menschen strömten zu den Gottesdiensten, die der wortgewaltige Hus in der Bethlehemskapelle hielt. In der Landessprache und nicht etwa in Latein forderte er dort die Unabhängigkeit der böhmischen Kirche von Rom, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Anhänger fand er vor allem in der ärmeren tschechischen Bevölkerung, die deutsche Oberschicht hielt dagegen zu Papst und Kaiser. So hatte der Hussitenkrieg, der wenige Jahre nach der Hinrichtung von Hus ausbrach, auch seine nationale und soziale Dimension.
Genau aus diesem Grund ist Jan Hus bis heute in Tschechien unvergessen. Die Kommunisten ließen in den 50er Jahren die inzwischen verfallene Bethlehemskapelle wiedererrichten und feierten die Hussiten als ihre Vorläufer. Die junge Tschechische Republik machte den 6. Juli zum Nationalfeiertag. Auf seine Rehabilitierung muß Hus trotzdem noch eine Weile warten. Kirchenkreise rechnen nicht damit, daß sich der Vatikan vor dem Jahr 2000 damit beschäftigen wird. Sabine Herre
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