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■ Das PortraitLennart Meri

Foto: bonn-sequenz

Die demokratischen Revolutionen des Jahres 1989 sahen nicht nur Massen auf der Straße, sondern auch einen neuen Typus von Politikern in Aktion: den philosophierenden Schriftsteller. Dessen große Zeit scheint abgelaufen — mit einer Ausnahme. Das kleine Estland hat mit dem 1929 geborenen Lennart Meri noch einmal einen Intellektuellen mit weitem Horizont zum Staatsoberhaupt gewählt. Der weltgewandte, in vielen Sprachen heimische Literat und Filmemacher scheint wie kein anderer geeignet, das belastete Verhältnis Estlands zu Rußland zu entspannen und im Westen für politisches wie ökonomisches Engagement zu werben. Zu Rußland hat Meri wie viele Esten eine „spezielle“ biographische Beziehung. Er wurde zusammen mit seinem Vater, einem Diplomaten, nach der Annexion Estlands durch die Sowjetunion nach Sibirien verschleppt. Meri, der Kosmopolit, ist kein Anhänger von „Russen raus!“- Parolen. Allerdings teilt er daß Mißtrauen seiner Landsleute gegenüber den nach wie vor in Estland stationierten russischen Truppen.

Der neue Präsident wurde (folge eines kuriosen Wahlsystems) im zweiten Wahlgang vom Parlament gewählt, obwohl im ersten Wahlgang, einer direkten Volkswahl, sein Rivale Rüütel fast 20 Prozent mehr Stimmen als er selbst erhielt. Rüütel, der „gewendete“ kommunistische Funktionär, genießt in Estland Vertrauen, nicht jedoch die von ihm repräsentierte ehemalige Nomenklatura. Das Parteibündnis Isamaa („Heimatland“), das Meri, den Parteilosen, aufstellte, gehört dem gemäßigt rechten Spektrum an, unterliegt aber dem Druck der ultrarechten Kommunistenfresser, die nach Rache dürsten.

Die schwerste Hypothek, mit der Meri fertigwerden muß, ist das Verhältnis zu der großen russischen Bevölkerungsgruppe in Estland. Das neue Recht beschränkt die Staatsbürgerschaft auf die Bürger Estlands im Stichjahr 1940 und deren direkte Nachkommen, ermöglicht aber deren Erwerb bei zweijährigem Aufenthalt und bei Grundkenntnissen der estnischen Sprache. Viele Esten meinen, die nach dem Krieg zugewanderten Russen zum Verlassen des Landes bewegen zu können. Mit dieser Illusion wird sich Lennart Meri auseinandersetzen müssen. Seiner Neigung und seinem politischen Horizont nach ist er auf Multikulturalität vorbereitet. C.S.

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