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■ Das PortraitAlla Yaroschinskaja

hier Foto Nr. 18

Foto: Kai Horstmann

Sie wäre eine mutige Lokalreporterin geblieben, die hin und wieder einen Fall von Korruption im ukrainischen Zhitomir aufdeckt. Wenn nicht im Winter 1986 alte Freunde aus der Region um Tschernobyl zu Besuch gekommen wären. Die Freunde klagten, sie seien nach dem Super-GAU umgesiedelt worden. „Aber der neue Ort war genauso radioaktiv wie der alte“, erinnert sich Alla Yaroschinskaja. Vor allem die Kinder litten unter der hohen Strahlenbelastung, seien ständig matt gewesen und hätten Nasenbluten gehabt.

Yaroschinskaja war alarmiert. Sie beantragte bei ihrem Chef eine Reise in die verstrahlten Dörfer, doch der weigerte sich. Schließlich fuhr sie am Wochenende gemeinsam mit ihrem Mann, einem Feuerwehrhauptmann, auf Recherche. Doch die Zeitung wollte den Artikel nicht drucken. Die Parteizelle mißbilligte ihr Vorgehen scharf und schickte einen Kollegen, der zur Beruhigung der Bevölkerung schrieb.

Das Wochenende änderte ein Leben. Yaroschinskaja, die nach dem Journalistikstudium in der Großstadt Kiew aufs Dorf zurückgekehrt war, ließen die Verstrahlten von Tschernobyl nicht mehr los. Der nächste Schritt: Gegen den Widerstand der örtlichen Parteinomenklatur, so sagt sie, habe sie sich 1989 als Deputierte für den Obersten Sowjet in Moskau durchgesetzt.

Dort begann der Kampf erst richtig: Die hagere, großgewachsene Frau suchte in den Archiven der Ministerien nach den vertraulich gehaltenen Akten über Tschernobyl. Nur die Geheimdokumente des Politbüros blieben weiter unter Verschluß: Unter Verschluß bis zu jenen Putschtagen im August. Nach dem Sieg der Demokraten öffneten sich auch die Archive des Politbüros. Yaroschinskaja machte den zentralen Fund. Die vertraulichen Protokolle des Politbüroausschusses, der sich von April bis Juni 1986 rund 40mal mit der Katastrophe in Tschernobyl beschäftigt hatte. Für die Veröffentlichung dieses Fundes hat die 40jährige Mutter zweier Söhne 1992 den Alternativen Nobelpreis erhalten. „Mit dem Preis ist es leichter geworden, sich durchzusetzen“, sagt sie. Aber die Arbeit und die Verantwortung wögen noch schwerer. Alla Yaroschinskaja will zusammen mit 47 prominenten Wissenschaftlern aus West und Ost jetzt einen Fonds aufbauen, der die wahren gesundheitlichen Folgen von Tschernobyl zusammenträgt. Hermann-Josef Tenhagen

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