■ Das Portrait: Walter Kempowski
Der Popularität vieler seiner Bücher hat es nicht geschadet, daß Walter Kempowski keinen literarischen Monden gefolgt und nie auf politische Opportunität bedacht gewesen ist, aber seinen Ruf hat es mindestens zwanzig Jahre lang beeinträchtigt.
Als Kempowski, der in der DDR wegen angeblicher Spionage verurteilt und 1956 in den Westen abgeschoben worden war, 1969 „Im Block“ veröffentlichte, den unsentimentalen, bedrückenden Bericht über seine achtjährige Haftzeit in Bautzen, hatten sich gerade kulturjournalistische Mehrheiten gebildet, deren Konzepte dergleichen schroff zuwiderlief.
Auch in seinen Romanen und in seinen epochalen, Tagebuchnotizen und Briefen, Telegramme und Fotos aus dem Kriegsjahr 1943 dokumentierenden Sammelwerk „Das Echolot“, das von der Kritik im letzten Jahr einhellig euphorisch aufgenommen wurde, verschafft Kempowski keiner Weltanschauung Geltung; er zeigt den drangsalierten, befangenen Einzelnen, auf dessen Kosten und mit dessen Beihilfe sich die Zeitgeschichte fortwälzt. Das rauschende Seelenleben wird dabei nicht direkt und grell ausgeleuchtet, sondern anhand scheinbarer Äußerlichkeiten, vergänglicher Indizien, Redewendungen und Details der Oberfläche sinnfällig gemacht.
Die Zeit, wo solche Kunstfertigkeit von der Kritik als „kleinbürgerlich“ oder steril buchhalterisch abgetan wurde, scheint vorbei zu sein; gut so. Bestürzend produktiv ist Kempowski ohnehin, obwohl ihn nun die Folgen eines Schlaganfalls quälen.
Der Autor als Jäger und Sammler Foto: Peter Peitsch
Nach dem 1993 publizierten „Echolot“ ist gerade erst, im Großformat, das Märchen „Der arme König von Opplawur“ erschienen, wie immer im Verlag Albrecht Knaus, und schon ist wiederum die erste Fassung des nächsten umfangreichen Buches fertig: „Alkor“, Kempowskis Tagebuch des Jahres 1989; das zweite nach „Sirius“, in dem das Jahr 1983 dokumentiert ist – Traumnotizen, Reiseprotokolle, Fotos, Arbeitsberichte, Skizzen, Tageskommentare, Rückblenden und Lektüreberichte:
„Weiter in den Tagebüchern von Pepys. Der Vormarsch der Türken in Ungarn, die Pest in London. Ich las die ganze Nacht. Die Alltäglichkeiten sind es, die diese Aufzeichnungen so interessant machten. ,Kaufte mir heute eine grüne Brille.‘ Das ist es. Das macht unser Leben heute aus.“
Heute wird Walter Kempowski 65 Jahre alt.
Gerhard Henschel
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