■ Das Portrait: Monika Wulf-Mathies
Die zukünftige EU-Kommissarin Foto: Reuter
Die ÖTV ohne Monika Wulf-Mathies – das ist für viele Mitglieder der zweitgrößten Gewerkschaftsorganisation in Deutschland so schwer vorstellbar wie 1982 eine ÖTV ohne den damaligen Chef Heinz Kluncker. Der streibare ÖTV-Boß hatte damals völlig überraschend Wulf-Mathies zur Nachfolgerin erkoren – und die Delegierten waren seinem Vorschlag nur widerstrebend und mit knapper Mehrheit gefolgt. Eine Frau, eine Intellektuelle und Seiteneinsteigerin ohne den unabdingbaren gewerkschaftlichen Stallgeruch – die Wahl von Wulf-Mathies an die Spitze der ÖTV war damals eine kleine innergewerkschaftliche Kulturrevolution.
All jene auf der Arbeitgeberseite, die nun auf ein leichtes Spiel bei den jährlichen Tarifrunden des öffentlichen Dienstes gehofft hatten, haben sich getäuscht. Von CSU-Zimmermann bis CDU-Kanther – sie hat viele Innenminister an sich vorüberziehen sehen, und alle haben sich an ihrer Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit die Zähne ausgebissen. Nur eines hat die energische 52jährige Spitzengewerkschafterin bis zum Schluß nicht geschafft: den Moloch ÖTV zu einer modernen Organisation zu formen, die soziales Engagement mit effektiven gewerkschaftlichen Dienstleistungen, offene und demokratische Verkehrsformen mit politischer Konfliktfähigkeit vereint.
Seit Jahren bemüht sich Wulf-Mathies darum, die Diskussion um die Modernisierung des öffentlichen Dienstes und die Reform des Sozialstaats innerhalb wie außerhalb der Gewerkschaft voranzubringen. Und bei ihrem Versuch, die Tarifpolitik angesichts leerer Haushaltskassen stärker auf qualitative Ziele zu orientieren, stieß sie auf den erbitterten Widerstand der Prozent-Traditionalisten von links und rechts. So entging sie beim letzten ÖTV-Gewerkschaftstag 1992 in Nürnberg nur knapp einer Abstimmungsniederlage, weil sie beim vorangegangenen Streik im öffentlichen Dienst angeblich nicht genug herausgeholt hatte.
Nun wird die Debatte um die Nachfolge der zukünftigen EU-Kommissarin im Vordergrund stehen. Wer es wird, steht in den Sternen. Einige der mächtigen ÖTV-Bezirksfürsten hocken bereits in den Startlöchern. Von Monika Wulf-Mathies aber, die schon seit einiger Zeit Bereitschaft zum Wechsel erkennen ließ, darf erwartet werden, daß sie in ihrem neuen Job mit Leidenschaft und Kompetenz arbeiten wird. Martin Kempe
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