■ Das Portrait: Das gute Gewissen
Hans Karl Filbinger Foto: dpa
Noch drei Wochen nach Kriegsende, am 29. Mai 1945, verurteilte der Marinerichter Hans Karl Filbinger in einem britischen Kriegsgefangenenlager den Obergefreiten Kurt Petzold zu sechs Monaten Gefängnis. Der ungehorsame Soldat hatte seine Vorgesetzten als „Nazi-Hunde“ beschimpft.
33 Jahre später, 1978, griff der Schriftsteller Rolf Hochhuth diesen Vorfall auf und bezeichnete Filbinger in einem Beitrag für die Zeit als „furchtbaren Juristen“. Filbinger, damals erfolgverwöhnter Ministerpräsident in Baden-Württemberg, verlangte gerichtlich Unterlassung. Weil der CDU-Politiker, der sich gerne auf seine im NS-Staat „sichtbar gelebte antinazistische Gesinnung“ berief, bereits Jahre zuvor einen ähnlichen Prozeß gegen den Spiegel gewonnen hatte, begann Hochhuth weiter zu recherchieren – und fand das Furore machende Todesurteil gegen den 22jährigen desertierten Matrosen Walter Gröger. Filbinger hatte hier im Januar 45 die Anklage vorgetragen und die Exekution überwacht. Die Zivilklage endete nun doch mit einem Punktsieg Hochhuths: Er durfte Filbinger weiter als einen „furchtbaren Juristen“ bezeichnen, auch wenn er andere Äußerungen zurücknehmen mußte.
Filbingers vehement vorgetragene Verteidigungslinie, er selbst habe keine Todesurteile verhängt, wurde erst Wochen später durch einen „Panorama“-Beitrag Stefan Austs widerlegt: Zwei Todesurteile mit Filbingers Unterschrift als Richter wurden bekannt – allerdings ergingen sie in Abwesenheit der Angeklagten. Als kurz darauf noch ein viertes Todesurteil auftauchte, war es um Filbingers Glaubwürdigkeit vollends geschehen – obwohl das Urteil unter seiner Mitwirkung noch in eine achtjährige Haftstrafe umgewandelt worden war. Wegen dieser „Erinnerungslücken“ zwang ihn die CDU zum Amtsverzicht.
„Was damals Rechtens war, das kann heute nicht Unrecht sein“, soll Hans Karl Filbinger wenige Wochen vor seinem Rücktritt gesagt haben. Er bestritt diese Aussage später, was ihm aber nichts half: Der Satz paßte nur allzu gut zu seiner Selbstgerechtigkeit, zu seinem „pathologisch guten Gewissen“ (Eppler). „Es ist mir schweres Unrecht angetan worden“, sagte Filbinger beim Rücktritt. Der heute 82jährige glaubt es noch immer: Inzwischen gibt er sich als Stasi- Opfer aus – weil bei der Suche nach „seinen“ Todesurteilen wohl auch die DDR mitgeholfen hatte. Christian Rath
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