Das Portrait: Goldener Schütze
■ Oliver Bierhoff
„O Gott, der ist drin!“ dachte sich Oliver Bierhoff in jenem Augenblick, der den vorläufigen Höhepunkt seiner zeitweise recht unglücklichen Fußballerkarriere bildete. Soeben hatte er den Ball zum „goldenen Tor“ ins tschechische Gehäuse gezwirbelt, nachdem er zuvor bereits das 1:1 geköpft hatte. Die Kraft für solche Heldentaten gab dem 28jährigen „die richtige Wut“, die er hegte, weil ihn Trainer Berti Vogts bei dieser EM kaum aufgestellt hatte.
Dabei hatte es lange so ausgesehen, als könne der zweite Stürmer an Klinsmanns Seite nur Bierhoff sein. 17 Tore hatte er in der abwehrstarken italienischen Liga geschossen und damit seinen Klub Udinese vor dem Abstieg bewahrt. In seinen ersten Länderspielen bestach er durch Tore und „gute Arbeit“ (Vogts). Bei Fragen nach seiner Zukunft ließ Bierhoff nonchalant Namen wie Juventus Turin, AC Mailand oder AC Parma fallen.
Aber dann ging alles schief. Vogts befand, daß er läuferisch doch zu schwach sei, zog Kuntz oder Bobic vor, und plötzlich sprach, während sich die großen Vereine um Holländer oder Franzosen rissen, niemand mehr von Bierhoff. Ähnlich war es ihm vor zehn Jahren in der Bundesliga gegangen, als er nach einer großartigen Saison in Uerdingen beim HSV und in Mönchengladbach scheiterte. Bei Austria Salzburg schoß er dann plötzlich so viele Tore, daß ihn Inter Mailand erwarb, aber sofort nach Ascoli abschob. Dort spielte er hundsmiserabel, wurde von den Fans sogar im Training ausgepfiffen, und als ihm endlich sein erster Treffer gelang, wurde er wegen übermäßigen Jubelns vom Platz gestellt. Ascoli wollte ihn loswerden, aber der aus betuchtem Hause stammende Fernstudent der Betriebswirtschaft weigerte sich einfach und avancierte nach dem Abstieg tatsächlich wieder zum Torjäger. Dann holte ihn Udinese, und es ging steil aufwärts – bis zur EM.
Wie immer lachte Oliver Bierhoff am Ende aber das Glück, und nach seinen beiden Treffern im Finale könnte es gut sein, daß doch noch ein großer Klub anklopft – und wenn es nur Bayern München ist. Matti Lieske
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