Das Portrait: NS-Kollaborateur
■ Paul Touvier
Er war einer jener Gewöhnlichen, die nur in ungewöhnlichen Situationen nach oben kommen: Paul Touvier war ein Chef der Miliz, dem französischen Pendant der Gestapo, er bekämpfte die Feinde des Regimes, und er bereicherte sich an ihnen. Er verhaftete und beschlagnahmte, er plünderte, denunzierte, entführte und mordete. Am 29. Juni 1944 holte er sieben jüdische Männer aus dem Gefängnis von Lyon, brachte sie in das Dorf Rillieux-la-PÛpe, ließ sie an die Friedhofsmauer stellen und erschießen. Wegen jener sieben Morde wurde Touvier 50 Jahre später als Verbrecher gegen die Menschlichkeit verurteilt. Alle anderen Verbrechen, die er in den 40er Jahren beging, blieben ungesühnt.
Der Sohn einer kinderreichen, erzkatholischen Familie war Eisenbahner, als das Regime von Vichy an die Macht kam und ihm seine Chance gab. 1944 ist die Karriere als Miliz-Chef vorbei, Touvier taucht bei Freunden unter und schlägt sich als Kleinkrimineller mit gefälschten Papieren durch. 1947 gerät er erstmals in die Hände der Justiz, wo ihm die Todesstrafe droht. Nachdem er Namen und Adressen sämtlicher Freunde und Beschützer genannt hat, darf er unbehelligt aus dem Gefängnis spazieren.
Über drei Jahrzehnte lang lebt er anschließend in Verstecken, die ihm Priester und Klöster – immer in Frankreich – gewähren. Die Gattin und die beiden Kinder folgen ihm auf dieser Odyssee. Die 1971 dank einflußreicher Kirchenleute zustande gekommene Begnadigung durch Präsident Georges Pompidou verschafft ihm nur eine kurze Atempause. 1973 beginnen die Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und Touvier taucht erneut unter.
Politische Widerstände gegen das Verfahren sorgen dafür, daß er erst 16 Jahre später in einem Kloster in Nizza verhaftet wird. Und daß dann nochmals fünf Jahre vergehen, bis er als erster – und bislang einziger – Franzose wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht kommt. Mit dem Urteil „lebenslänglich“ verschwindet der Miliz-Chef Touvier am 20. April 1994 in der Versenkung.
Am Mittwoch starb Touvier, 81jährig, in einem Pariser Gefängniskrankenhaus an Prostatakrebs. Dorothea Hahn, Paris
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