Das Portrait: Ein Schlag für die Stehauf-Frau
■ Linda Reisch
Eine glückliche Hand hatte sie eher im verborgenen. Die von ihr angeschobenen Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen zum Holocaust, zu jüdischer und deutscher Geschichte waren hochkarätig, subtil und beispielgebend. Damit aber holte frau sich in der Stadt mit dem einst höchsten Kulturetat der Republik höchstens Achtungserfolge. Schlagzeilen bekam die seit ihrem Amtsantritt im Mai 1990 umstrittene Frankfurter Kulturdezernentin Linda Reisch (46) statt dessen immer wieder, wenn sie mit dem Interessengeflecht der Hochkultur kollidierte oder sich im Intrigengespinst der eigenen Partei verhedderte. Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) hatte sie als Wahlkampfhelferin an den Main geholt und machte sie gegen den unerbittlichen Widerstand der Fraktion gegen Zugereiste zur Nachfolgerin von Hilmar Hoffmann. Reisch überlebte im Amt sowohl Hauff als auch Andreas von Schoeler, die beide von den eigenen ParteigenossInnen weggebissen wurden. Schmal und schlank, in eleganten Kostümen mit großen Perlenketten als Accessoires, immer zum Lachen bereit, aber in den zahlreichen Krisensituationen mit unübersehbarem Gefühlsgewitter im Gesicht, war Linda Reisch von Anfang an Zielscheibe für Klatsch und Tratsch.
Die wenigsten trauten ihr zu, die Nachfolge von Hoffmann anzutreten. Die Tatsache, daß sie sechs Jahre lang Geschäftsführerin des Kulturforums der SPD gewesen war, schadete ihr eher. Sie sei gerade gut für das bemühte Musikprogramm von SPD- Parteitagen, nicht aber qualifiziert für den Umgang mit jenen primadonnenhaften Spitzenintendanten, die sich Frankfurt immer wieder leistete. Am meisten eckte „Lovely Linda“ an, als sie sich einmal leichtfertig die deutsche Wiedervereinigung aus ganz persönlicher Sicht betrachtete: Sie fahre immer noch lieber in die Toscana als in die neuen Bundesländer. Das lockere Mundwerk der gebürtigen Bambergerin, die ihre Kindheit und Studienzeit in Berlin verbrachte, wurde ihr am Main auch schon mal durch ein entwürdigendes Redeverbot ausgetrieben. Daß ihr jetzt die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth die Zuständigkeit für die Theater der Stadt abnahm, hat Reischs Nehmerqualitäten als Stehauf-Frau nicht geschmälert. Bis zum Jahr 2001 ist sie Kulturdezernentin. Und das wolle sie, hat sie trotzig verkündet, auch bleiben. Heide Platen
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