Das Portrait: Finaler Fenstersturz
■ Bohumil Hrabal
Ein oft schwer durchdringliches Erzähldickicht, wuchernde Metaphern, endloses Palaver der Protagonisten, komplizierte Zitat- und Collagetechniken – Bohumil Hrabal hat es, virtuosen Übersetzungen zum Trotz, schwer gehabt, auf dem deutschen Büchermarkt zu reüssieren. Am ehesten noch mit seinem einzigen Roman, „Ich habe den englischen König bedient“, in dem er, liebenswürdig, verspielt und erbarmungslos, dem Schicksal der Tschechen unter der deutschen Okkupation nachgeht. Lang vor der „Abrechnungsliteratur“, die nach 1990 einzusetzen begann, hat Hrabal mit der Geschichte seines Antihelden Dite (deutsch: das Kind) ein Bild der tschechisch-deutschen Tragikomödie gezeichnet, das völlig frei ist von selbstanklägerischem Pathos oder Zynismus.
Auch in seiner durch die Verfilmung von Jiri Menzel bei uns bekannten Novelle „Zug nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht“ wird die Partisanenaktion gegen die deutschen Besatzer unbeschreiblich komisch in die sexuelle „Selbstfindung“ des jungen Milos Hrma (zu deutsch: Venusberg) eingewirkt. Die trostlose Pointe: Hrma wird als Mann bestätigt, aber die Sprengung eines deutschen Munitionszugs endet mit seinem Tod.
Hrabal hatte es erwartungsgemäß schwer mit den tschechischen Realsozialisten. Trotz einer ständigen Selbstzensur konnte er nur wenige Jahre frei in der Tschechoslowakei publizieren. Infolgedessen ließ er viele seiner Erzählungen auch in Exilverlagen erscheinen. Wenn ihm die Zensoren und Literaturapparatschiks zu nahe kamen, flüchtete er in den äußersten Winkel seiner Stammkneipe oder, wenn gar kein Ausweg mehr blieb, ins Irrenhaus. Aus seiner ironischen Distanz zum Realsozialismus hat der Bewunderer Jaroslav Haseks nie ein Hehl gemacht, verschanzte sich allerdings oft hinter einem Wall gelehrter Anspielungen.
Einmal allerdings ließ er alle Rücksicht fahren. Januar 1989, nach dem brutalen Überfall der Prager Sicherheitskräfte auf eine Demonstration zu Erinnerung an die Selbstverbrennung Jan Palachs, schrieb er eine erschütternd schöne, aktuelle Geschichte und veröffentlichte sie, ohne groß nachzufragen. Hrabals Tod hätte in einer seiner Erzählungen stehen können. Der 82jährige stürzte aus dem Fenster zu Tode, als er, zu Besuch im Krankenhaus, Tauben füttern wollte. C.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen