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Das PortraitFit geblieben und klüger geworden

■ Lilo Wollny

Es waren zwei Sorten von Menschen, die ab 1977 ins Wendland kamen. Die einen kamen im Auftrag des Nuklearen Entsorgungszentrums und gaben Lilo Wollny „das Gefühl okkupiert zu werden“. Die anderen kamen aus Kreuzberg und St. Pauli und durften bei ihr übernachten. Vor dem Frühstück drückte sie ihnen einen Kamm in die Hand, ansonsten war man sich einig.

Dem Wendland drohte eine Zukunft als Atomkolonie, und Lilo Wollnys Haus in Vietze, dem Nachbarort von Gorleben, direkt an der Elbe, wurde zum offenen Haus für Leute, die ihr sonst nie über den Weg gelaufen wären. Dabei ist die heute 70jährige selbst offener geworden, als sie es mit 50 war, neugierig auf Menschen, schlau im Umgang mit Druck und Drohungen, informiert über politische und wirtschaftliche Zusammenhänge.

Gelassen kann sie sagen, daß es sie „nie richtig enttäuscht“ habe, „wenn wir keine direkten Erfolge hatten“. Von schnellen Siegen ist sie nicht abhängig: „Das bin ich mir und meinen Kindern schuldig.“ Fünf Kinder hat Lilo Wollny großgezogen, sie lebte als Hausfrau, ihr Mann ist Bäcker. Ins Wendland kam sie aus Hamburg, als 19jährige, wohnte bei Verwandten, um den Bombennächten zu entkommen – und blieb. Immer empfand sie ihre neue Heimat „ein bißchen wie Ferien“ und die Gorleben-Betreiber als diejenigen, die „mein Paradies kaputtmachen“.

Entschlossen wagte sich Lilo Wollny über die eigenen Grenzen hinaus, arbeitete seit 1973 in der Gorlebener Bürgerinitiative, vertiefte sich nächtelang in Fachbücher über Atomenergie, kochte für die Freie Republik Wendland, ließ sich in Kommunal- und Kreisparlamente wählen und ging 1986 für die niedersächsischen Grünen in den Bundestag. Mit einer einzigen Rede war sie Spitzenkandidatin geworden, ein Überraschungscoup. Heimisch wurde sie in der Bonner Politik nicht: Ihre Art, Politik zu machen, braucht Nähe und Nachbarschaft.

Natürlich steht Lilo Wollny auch jetzt quer, zusammen mit ihrer „Initiative 60“, den SeniorInnen des Widerstands – den „Siechen“, giftete die Hannoversche Allgemeine nach dem letzten Castor-Transport. Nun gut, wenn es länger dauert, wird sie einen Hocker mitnehmen – das ist die einzige Konzession, die Lilo Wollny an ihr Alter macht.

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