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Das PortraitOpfer oder Verräter?

■ Otto John

Zeitlebens sah er sich als Opfer einer Intrige. Otto John, erster Verfassungsschutzchef der Bundesrepublik, wollte nicht als Verräter sterben. Nicht als einer, der im Kalten Krieg zum ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat überlief und von dort aus bei einer internationalen Pressekonferenz die faschistischen Kontinuitäten und die Kriegsvorbereitungen in Deutschland West geißelte. Auch heute noch ist nicht geklärt, was genau geschah in den Tagen um den 20. Juli 1954.

Die offizielle bundesdeutsche Lesart füllt die Gerichtsakten. Danach fuhr der Jurist John aus eigenem Antrieb zusammen mit einem Freund in den Ostsektor Berlins. Bei dem medienwirksamen Auftritt propagierte er die „Wiedervereinigung Deutschlands als neutraler, demokratischer, antifaschistischer und antimilitaristischer Staat“. Das Ziel: der Eintritt Westdeutschlands in die Nato sollte torpediert werden.

John behauptete dagegen konsequent, entführt worden zu sein; dem Auftritt in Berlin Ost habe er sich aus Gründen des Selbstschutzes nicht entziehen können. Für diese Aussage spricht, daß John nur ein Jahr später in die Bundesrepublik zurückkehrte. Doch dort wurde er wegen Landesverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.

Eine ganz andere Version des Vorgangs haben die früheren Mitarbeiter der diversen östlichen Sicherheitsorgane. Danach kam John in der Tat aus freien Stücken, allerdings schwer angetrunken und nicht betäubt, wie John später immer wieder aussagte. Die Genossen wollen auch gar nicht begeistert gewesen sein. Lieber hätten sie John als ihren Agenten in der Verfassungsschutzbehörde gesehen. Doch dies sei nun nicht mehr in Frage gekommen, da der Abgang des Behördenpräsidenten nicht unbemerkt blieb. Und weil der Kandidat nun schon einmal da war, habe man ihn zur Propaganda herangezogen.

Wie auch immer: Geheimnisse hat John, der im Zweiten Weltkrieg den Widerstandskämpfern des 20. Juli angehörte, nicht verraten. Das urteilte selbst der Bundesgerichtshof.

Alle Versuche, den Schuldspruch aufheben zu lassen, fruchteten nicht. Zuletzt verwarf das Berliner Kammergericht 1995 den Antrag auf Rehabilitierung. Otto John hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon verbittert ins Tiroler Örtchen Igls zurückgezogen. Dort starb er in der Nacht zum Donnerstag im Alter von 88 Jahren. Wolfgang Gast

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