Das Portrait: Ein Sozialdemokrat mit strenger Moral
■ Norbert Gansel
Das Ergebnis, gab Norbert Gansel kund, gebe ihm „breite Rückendeckung“. Und die könne er brauchen. Der neue Oberbürgermeister der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel, zu dem der Sozialdemokrat vorgestern mit 60,3 Prozent gewählt wurde, weiß, was ihm im Amt bevorsteht: Vor allem viel Streit um die Verteilung der mageren Kommunalfinanzen sowie Konflikte in der eigenen Partei, die es nie gelernt hat, sich außerhalb der städtischen Macht zu denken und von ihren früheren absoluten Mehrheiten weit entfernt im Rat vertreten ist.
Norbert Gansel, Kiels neuer Oberbürgermeister Foto: AP
Gansel, am 5. August 1940 in Kiel geboren, darf trotzdem so gelassen wie selbstbewußt seinen Job beginnen: Kein Politiker sonst ist in der Stadt an der Förde so populär wie er. Von 1972 bis zu seiner jetzigen Wahl auf den Bürgermeisterstuhl saß er für die SPD im Bundestag – jeweils per Direktmandat. Der Zuspruch für ihn fiel stets stärker aus als der für seine Partei: Der Mann, der sein Jurastudium mit Prädikat absolvierte, war auch für liberale Konservative wählbar. Zwar verkörperte er – nicht zuletzt durch seine Nickelbrille – vom Habitus den Elan der 68er-Generation, aber anders als seinen Juso-Genossen war es ihm nie peinlich, zwei Jahre bei der Bundesmarine gedient zu haben.
Der Mann hält insofern viel auf seine Unabhängigkeit. Kein Wunder, daß Gansel in den siebziger Jahren Probleme mit Herbert Wehner bekam: Der SPD-Fraktionszuchtmeister konnte ihn mit dem Hinweis, daß Lehrjahre keine Herrenjahre seien, nicht in seinen Mainstream einordnen. Respekt erwarb Gansel sich erst Ende der achtziger Jahre mit Recherchen über die illegale Lieferung von U-Boot-Komponenten an Südafrika.
Lieber mit einer Wahrheit in die Opposition, als mit einer Lüge an die Regierung: Diesem Credo folgte Gansel, als er vor vier Jahren Björn Engholm nötigte, seine Halbwahrheiten vor dem Barschel-Untersuchungsausschuß zuzugeben, um seiner Partei nicht langfristig zu schaden. Verständlich, daß der frühe Befürworter von UN-Einsätzen in Jugoslawien unter Bundeswehrbeteiligung deshalb nicht die volle Liebe seiner Partei genießt. An der Kieler Förde hätte „der Moralist“ (SPD- Jargon) auch ohne Genossenhilfe gewonnen. Und von solchen Figuren hat die Partei nicht mehr viele: Niemand weiß das besser als das neue Stadtoberhaupt selbst. JaF
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