Das Portrait: Die Verkünderin des Glücks tritt ab
■ Karin Tietze-Ludwig
Sie ist die ungekrönte Königin der profanen Habgier, die Zeremonienmeisterin des Glücks und Moderatorin eines Spiels, das Samstag für Samstag Millionen Menschen mehr beschäftigt als jede Spitzenmeldung in der Tagesschau: Karin Tietze- Ludwig, eigentlich TV-Ansagerin, wird übermorgen zum letztenmal kurz vor 20 Uhr die Ziehung der Lottozahlen moderieren.
Seit drei Jahrzehnten macht sie ihren Job, der sie in die gleiche Popularitätsliga hievte wie Dagmar Berghoff. Aber was heißt Job? Sie wirkt, sie tut ein Werk: Wenn sie damenhaft, mit leicht angewinkeltem linken Bein vor dem rechten, durch die Sendung führt, wirkt das immer, als verkünde sie eine frohe Botschaft. Bei ihr waren selbst Verlierer nie sauer, wenn die Glückszahlen nicht die ihren waren.
Angefangen hat die (inzwischen nachgefärbt) blonde Frau einmal als Fernsehansagerin in den sechziger Jahren beim Hessischen Rundfunk. Das war zu einer Zeit, als das Programm noch verlesen wurde wie eine tagesaktuelle Enzyklika aus Rom. TV-Ansagerinnen waren freundliche junge Tanten ohne mütterlichen Touch, also Frauenzimmer mit großer Autorität. Mädchen vor dem Schulabschluß träumten davon, zu werden wie sie: respektiert und fraulich zugleich. Und sollte das nicht klappen, dann wenigstens Stewardeß. Karin Tietze-Ludwig strahlte bei ihrer Arbeit stets eine sehr persönliche Zufriedenheit aus: Seht her, schien sie stumm zu sagen, ich mache, was ich immer machen wollte! Und sie wußte um ihre Grenzen: Angebote, große TV-Shows zu machen, lehnte sie ab – wirkte sie doch bereits deplaziert, wenn sie in ihrer Lottosendung auch nur einen Millimeter von der ihr zugedachten Rolle abwich, beispielsweise frei sprechen sollte.
Nun, die Ära der Programmkünderinnen ging spätestens Ende der achtziger Jahre zu Ende. Karin Tietze-Ludwig blieb uns erhalten. Nun wird sie demissionieren. Offiziell heißt es, um ihrem Mann während seiner schweren Krankheit beizustehen.
Zwar will der Sender noch eine Nachfolgerin vorstellen, aber die wird den Trend auch nicht aufhalten können: Aus einer würdevollen Sendung im Kammerton wird ein lärmendes Nichts um viel Geld. Karin Tietze-Ludwig wird in spätestens zehn Jahren zu bereuen verlernt haben, daß sie nicht mehr gebraucht wird. JaF
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