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Das PortraitJelzins Mann für Krisenfälle

Heute wird er häufig an der Front in Tschetschenien gefilmt, Sergej Schojgu (44), verheiratet und Vater zweier Töchter, Katastrophenminister und Chef von Russlands neuester Partei, „Einheit“, in der russischen Presse auch „Bär“ genannt.

An den Fronten waren Sergej Schojgu und seine Leute immer die Ersten, allerdings nicht davor, sondern dahinter. Und daran war nichts Ehrenrühriges. Wo die Militärs – oder Erdbeben, Flugzeugkatastrophen, Chemikalien – alles zerstört hatten, da flickten die Brigaden von Schojgus Ministerium Menschen und Infrastrukturen wieder zusammen, so gut es ging. Wo ein Krater gewesen war, schufen sie mindestens eine Plattform. Wo sonst als in Russland wurde so dringend ein Ministerium wie Schojgus „Ministerium für außergewöhnliche Situationen“ gebraucht? Heute ist er der dienstälteste Minister im Kabinett und noch immer einer der Jüngsten.

Unersetzlich blieb er wegen seiner unschlagbaren Effektivität. Heute verfügt sein Ministerium mit 70.000 Angestellten über eine eigene Armee, Geheimdienste, Dipolomaten, Finanzierungsgesellschaften, Lufteinsatzkräfte und eine eigene Flotte. Außerdem ist es auch ein wichtiger Exportartikel. Niemand zog kürzlich bei dem Erdbeben in der Türkei mehr Opfer lebend unter den Trümmern hervor als Schojgus Leute. Dies geschah gratis. Doch häufig vermietet Schojgu seine Technik und seine Einsatzhelfer auch gegen klingende Auslandswährung an fremde Staaten.

Schojgu wurde zum Parteichef nicht zuletzt dank der Gunst des Hauses Jelzin. Was schon längst fällig gewesen wäre, geschah, als er sich den Machthabern politisch zur Verfügung stellte: Man dekorierte ihn mit einem Orden zum „Helden Russlands“. Wer glaubt, der puschelhaarige Sergej sei ein Spielzeug in den Händen politischer Drahtzieher, hat gefehlt. Zu seinen potenziellen Wählern gehören die Angehörigen der kleinen sibirischen Minderheiten. Schojgus Vater war einer der sibirischen Tuwinen. Nach Ansicht der modernen Genetiker hat dieses Volk die Vorfahren der nordamerikanischen Indianer gestellt.

Von Beruf ist Schojgu Bauingenieur. Ob es ihm gelingt, auf der Plattform von Katastrophen ein neues Russland aufzubauen? Daran zweifeln seine Freunde. Von einem für ihn maßgeschneiderten Platz bewegt er sich ins Ungewisse. Dabei riskiert er, die Achtung seiner ihm ergebenen Leute zu verlieren. Barbara Kerneck

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