Das Portrait: Singender Madman
„Ich singe sie nicht“, sagte Jalacy Hawkins einmal über seine Songs, „ich zerstöre sie.“ Deshalb hieß er Screamin' Jay. Weil er schrie und stöhnte und kreischte und gurgelte und kiekste und manchmal auch einfach nur rumblödelte, Schnarch-, Schneuz- und Furzgeräusche in seinen Vortrag einbaute.
„I Put A Spell On You“ war 1956 der erste Song, den der in Cleveland geborene Hawkins in diesem Stil aufnahm, der Legende nach als Folge einer wegen Liebeskummer durchzechten Nacht. In einer Zeit, in der das anzügliche Timbre von Frank Sinatra das Gefährlichste war, was die Radios in den USA zu senden wagten, wurde der Song zum nationalen Skandal. Selbst schwarze Stationen setzten das Lied auf den Index.
„I Put A Spell On You“ war nicht nur Start, sondern in gewisser Weise auch bereits Ende der Karriere von Hawkins. Künstlerische Entwicklung fand forthin nicht statt, schnell wurde die Rolle des Madman zur Routine, sein letzten echten Hits kamen bereits Ende der 60er. Da hatte sich das Musikgeschäft grundlegend gewandelt, die Hippies probten die freie Liebe, die Black Panthers den Aufstand, und aus der ehemals provokanten Bühnenshow von Hawkins war Comedy geworden.
Seitdem war Hawkins als Karikatur seiner selbst unterwegs. Im Gegensatz zu den meisten anderen alt gewordenen Entertainern aber wusste er das wenigstens und spielte damit. So wie er lange schon wusste, dass er mit seiner Voodoo-Show niemanden mehr erschrecken konnte. Er wusste aber auch, dass die Leute weniger wegen des Blues kamen, dass sie vor allem den Sarg sehen wollten, dass sie Henry, den Zigaretten rauchenden Totenkopf, sehen wollten, dass hier Butterfahrt veranstaltet wurde. Also stützte er sich auf den Stock mit dem Schädel als Knauf, drehte die Augen aus den Höhlen und sah eher entrüstet als wirklich Furcht einflößend ins Publikum. Allerdings: In manchen Momenten war er doch noch in der Lage, einem mit seiner gruseligen Stimme eine sanfte Gänsehaut zu verschaffen.
Seine bekannteste künstlerische Äußerung der letzten Jahre aber war die Rolle des Hotelbesitzers in „Mystery Train“ von Jim Jarmusch. Dort spielte er weniger sich selbst als die Ikone, die er in den Jahrzehnten zuvor auf der Bühne geschaffen hatte. Ende der 90er versuchte er noch einmal ein Comeback – bezeichnenderweise auf einem kleinen französischen Label verdiente er seine Brötchen, in den letzten Jahren doch vor allem in Europa. Am Samstag haben ihn seine Götter im Alter von 70 Jahren nach Hause abberufen. Screamin' Jay Hawkins starb in der Nähe von Paris nach einer Darmoperation.
Thomas Winkler
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