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Das PortraitDie Nachtigall von Tel Aviv

Ofra Haza

Über dem Tel Aviver Arbeiterviertel Schchunat Hatikwa („Hoffnungsviertel“) liegt tiefe Trauer. Die „Nachtigall“, wie die Leute sie nannten, ist tot. Fast zwei Wochen lang hatten sie für Ofra Haza gebetet, auf unterschiedlichste Art versucht, die mysteriöse Krankheit der Sängerin zu bekämpfen. Einer blies den jüdischen Schofar, andere brachten Wunderwasser oder lasen Psalmen. Ofras Ehemann bat um den Segen des Kabbalisten Rabbi Kaddouri, der ihn per Telefon aussprach – vergeblich. In der Nacht zum Donnerstag erlag Ofra Haza ihrer Krankheit, deren Symptome die Ärzte zunächst auf eine verschleppte Grippe schließen ließen und die schließlich zum Zusammenbruch der Blut- und Leberfunktionen führte.

Ofra Haza war der Stolz der Unterprivilegierten in Tel Aviv. Bereits mit 14 gewann sie ihren ersten Preis beim nationalen Sängerwettbewerb östlicher Musik. Ihre gesamte musikalische Karriere blieb sie den Wurzeln ihrer Eltern und der jüdisch-jemenitischen Tradition treu. Sie interpretierte die Lieder des Rabbiners Schalom Schabasi neu und errang gerade mit ihren orientalischen Melodien Erfolg in Europa und Amerika.

In Israel schaffte sie als 19-Jährige den Durchbruch in dem Film „Schlager“ von Assi Dayan, dem staatlichen Radiosender zum Trotz, der sich über Monate weigerte, ihren Hit „Frecha“ („Leichtes Mädchen“) auszustrahlen, weil er zu provokativ sei. 1983 folgte der erste große Auftritt im Ausland. Ofra vertrat Israel bei der Eurovision in München, wo sie mit ihrem Titel „Chai“ („Leben“) auf den zweiten Platz kam. Vor ihrem Auftritt besuchte sie das Konzentrationslager Dachau.

Anfang der 90er-Jahre zog Ofra Haza sich schrittweise aus dem internationalen Geschäft zurück, offenbar, um sich verstärkt ihren kränklichen Eltern zu widmen. Einer ihrer letzten internationalen Auftritte war im Herbst 1994 bei der Friedensnobelpreisvergabe in Oslo, als Jassir Arafat, Jitzhak Rabin und Schimon Peres ausgezeichnet wurden. Aus ihrem Privatleben drang kaum etwas an die Öffentlichkeit. Ihr Kollege und Freund Yishar Cohen weiß zu berichten, dass die Art ihres Ablebens ganz untypisch für die „Überlebenskünstlerin“ sei. Zweimal war sie völlig unbeschadet Flugzeugnotlandungen entkommen. Die von all ihren Kollegen als besonders warmherzig und liebevoll bezeichnete Frau soll zudem ihr Leben lang streng auf die Gesundheit geachtet haben.

Susanne Knaul

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