■ Das Parlament streitet über den Einsatz deutscher Soldaten: Der entscheidende Tag
Ist heute der entscheidende Tag? Vormittags wird das Bundeskabinett beschließen, was die Koalitionsspitzen bereits gestern festlegt haben. Am Nachmittag darf dann, endlich, endlich auch der Vertreter des Souveräns, das Parlament, über die Anwesenheit deutscher Soldaten in den Awacs-Fliegern und den Einsatz deutscher Pioniere in Somalia diskutieren. Wohlgemerkt, es geht um eine Aussprache, um die Kenntnisnahme der Regierungserklärung des Außenministers und nicht etwa um Entscheidungen, richtungweisende Entscheidungen womöglich.
Der Kontrast zwischen dem, was tatsächlich passiert, und dem, was sich im Parlament tut, könnte krasser kaum sein. Es geht, so stellt der Spiegel dieser Woche zu Recht fest, um weit mehr als einen etwas undeutlichen Streit zwischen Juristen. „Ein Umbruch bahnt sich an, vergleichbar der Wiederbewaffnung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg; die Abkehr von der jahrzehntelang gepflegten Politik des Gewaltverzichts, der Beginn interventionistischer Außenpolitik.“ Doch dieser Umbruch kommt auf leisen Sohlen und wird von der Koalition meisterhaft als business as usual kaschiert. Allein daß sich heute abend die Frage stellen wird: War's das jetzt oder ist eigentlich doch noch nichts Entscheidendes passiert? ist ein Indiz für die gekonnte Dramaturgie. Die Opposition, die Friedensbewegung, die kritische Öffentlichkeit stehen recht hilflos vor dieser Umwertung der Werte und wissen einfach nicht, auf welchen Termin hin sie eigentlich mobilisieren sollen. Allenfalls ahnt man, daß Kohl, Rühe, Kinkel und Co., sollte sich der Wille zur Partizipation im Lande doch noch etwas massiver regen, lakonisch darauf verweisen werden, es sei doch längst alles gelaufen. Schließlich stand deutsche Infanterie, bewaffnet und als Bestandteil der kämpfenden Truppe in Somalia, und nun verbiete die schiere Logik Einwände gegen weitere Einsätze.
Das Ende dieser Schweigespirale – man weiß zwar noch nicht genau, welche anderen Einsatzorte diesen Weg markieren – ist trotzdem absehbar. Die herrschende Koalition wird ihre Angst vor der Macht besiegt haben, und es wird ihr über den Umweg der UNO gelingen, was die Machtpolitiker der Union seit dem Ende der Bescheidenheit im Vereinigten Deutschland erreichen wollten: endlich wieder die Armee zur Durchsetzung der eigenen außenpolitischen Interessen einsetzen zu können. Weil dem so ist, läßt sich die Frage, ob heute der entscheidende Tag ist, auch eindeutig beantworten. Heute und in den nächsten Tagen, jedenfalls lange, lange vor einer abschließenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, werden die Würfel gefallen sein. Wenn die öffentliche Meinung der Republik jetzt keine inhaltliche Auseinandersetzung über das Militär als Mittel der Außenpolitik erzwingt, wenn jetzt nicht mindestens das Bewußtsein darüber, was tatsächlich an elementarem Wandel der Außenpolitik passiert, erwacht, wird diese Koalition uns an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend direkt in die Militärpolitik der Nationalstaaten des letzten Jahrhunderts expedieren.
Schließlich, wo findet die Debatte um die Alternativen statt? Die Opposition im Parlament hat sich über Karlsruhe matt setzen lassen und trägt nun einen Juristenstreit aus, wo es um fundamentale politische Entscheidungen geht. Warum macht die Opposition bei dem Awacs-Einsatz nicht die Frage des militärischen Kommandos zur eigentlichen Sollbruchstelle? Fatal an dem Einsatz ist ja nicht, daß er stattfindet, sondern daß die UNO, wie beim Golfkrieg der US- Koalition, nun der Nato einen Blankoschein ausstellt und sie ermächtigt, militärisch zu intervenieren. Die Opposition hätte den Einsatz deutscher Soldaten davon abhängig machen können, daß er unter dem Kommando der UNO durchgeführt werde und der Militärrat der Weltorganisation erstmals praktische Relevanz erhält. Gerade der Krieg in Bosnien macht es ja der reinen pazifistischen Lehre so schwer, sich noch zu behaupten. Wer jeden Abend die Greuel im Wohnzimmer hat, kann sich schwerlich dem Argument entziehen, jetzt müsse aber endlich etwas Wirksames passieren. Bosnien ist zwar nicht der einzige, aber derzeit auf die öffentliche Meinung des Westens am stärksten wirkende Kriegsschauplatz. An ihm wird unabweisbar, daß es Situationen gibt, in denen eine militärische Eindämmung – nicht Lösung – des Konflikts sinnvoll sein kann.
Deutsche Außenpolitik, die von sich behaupten will, sie hätte aus der eigenen Geschichte gelernt, muß nachprüfbar und für jeden plausibel darauf verweisen können, daß sie nicht erneut mit militärischen Mitteln eigene Machtvisionen realisieren will. Die nicht nur von Konservativen bemühte Formel Zurück zur Normalität darf nicht heißen, daß die USA, Frankreich, Großbritannien und viele andere Staaten genau dies nach wie vor tun. Immerhin haben die Deutschen es geschafft, den Mythos militärischer Glorie restlos zu zerschlagen. Dieser Lernerfolg, der so schrecklich erkaufte Bewußtseinswandel, gäbe nun gerade einer deutschen Regierung innenpolitisch die Möglichkeit, den Einsatz deutscher Soldaten ohne jegliches Vaterlandsgeklingel in den Dienst einer internationalen Organisation zu stellen. Jede Bundesregierung, die den Einsatz von Soldaten davon abhängig macht, daß sie nur als Bestandteil einer internationalen Krisentruppe unter dem Kommando des UN-Generalsekretärs die eigenen Landesgrenzen verlassen, könnte sich auf breite Zustimmung im Lande stützen.
Wenn Kohl, Rühe und Co. wirklich wollten, könnten sie damit die Position des Generalsekretärs entscheidend stärken und der UNO vielleicht mit dazu verhelfen, ein wirksames Krisen-Interventionsinstrument zu entwickeln. In diesen Tagen entscheidet sich nicht, ob jemals wieder deutsche Soldaten eingesetzt werden. Was sich entscheidet, ist, für welche Interessen sie geschickt werden. Jürgen Gottschlich
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