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■ Das Parlament debattiert über die VerfassungsreformDie Doppelstrategie der Stagnation

„Wir oder Weimar“ lautet der Slogan, der zur Zeit von der Union auf seine Tauglichkeit für die politische Auseinandersetzung im Wahljahr geprüft wird. Die Unterstellung, eine veränderte Konstellation in Bonn laufe auf den Verfall der bundesdeutschen Demokratie hinaus, könnte durchaus zum letzten wahlkämpferischen Strohhalm für eine aufgeriebene, vom Machtverlust bedrohte Union geraten. Obwohl der umstrittene Slogan gestern im Bundestag nicht zum Einsatz kam, kann man ihn auch als strategisches Motto der zurückliegenden Verfassungsdebatte lesen, in der sich die Union als eigentliche Bewahrerin des Grundgesetzes gerierte und jegliche substantielle Weiterentwicklung schon im Ansatz torpedierte. Wann immer im Laufe der vierjährigen Debatte ernsthaftere Reformwünsche, etwa nach plebiszitärer Erweiterung, eingebracht wurden, lag der Verweis auf Weimar als letzter Bannspruch schon parat.

Der historische Erfolg der bundesdeutschen Verfassung als institutionelles Schutzschild gegen den Rückfall in Weimarer Verhältnisse wurde von den Konservativen zugleich als Garantie für die Zukunftstauglichkeit des Grundgesetzes präsentiert. Mit dieser Haltung hat sich die Union am Ende durchgesetzt.

Dennoch, als Ausweis ihrer Stärke läßt sich dieser Erfolg kaum interpretieren. Eher zeigt sich hierin die ganze Schwäche eines sturen Konservatismus, dem Veränderung als Bedrohung erscheint und der Bedrohungsängste mobilisiert, um Veränderung zu verhindern.

Wo vieles in Bewegung ist, ließ der Unions-Obmann in der Verfassungskommission gestern den Bundestag wissen, dürften gerade die Grundbedingungen der politischen Ordnung nicht angetastet werden. Es war der PDS-Abgeordnete Uwe Jens Heuer, der daraufhin der Union die Maxime eines klugen, zukunftsoffenen Konservatismus vorhielt: Verteidigung durch Erneuerung. Zuviel der Dialektik. Die Union verteidigt, indem sie das Bewährte in den Status des Unantastbaren erhebt. Ausnahmen jedoch bestätigen auch hier die Regel: Während sie in der Verfassungskommission immer wieder das Hohelied des Grundgesetzes anstimmte, zeigte die Union andernorts, welche Verfassungsbestimmungen ihr obsolet erscheinen: Asylrecht, Unverletzlichkeit der Wohnung, Rechtsweggarantie, Selbstbeschränkung der Bundeswehr...

„Verfassungsrevolutionär“ oder „verfassungskonservativ“ – das ist bei der Union kaum eine Frage politischer Prinzipien. Widerstand gegen Reformen und restriktive Eingriffe gehen Hand in Hand. An dieser Doppelstrategie sind alle Anstrengungen gescheitert, auf die neue historische Situation wie auf die wirklichen Erosionserscheinungen der bundesdeutschen Demokratie erfolgversprechend zu reagieren. An der Stelle der Einladung an die Gesellschaft zur Partizipation stehen am Ende der einheitserzwungenen Verfassungsdebatte drei ausgedünnte Staatsziele und das Verantwortungspathos der Verhinderer, denen noch die plebiszitäre Akklamation zum konservierten Grundgesetz zuweit gegangen wäre.

Keine Experimente, politische Stagnation, Realitätsverlust als Resümee der Verfassungsdebatte – Signale am Ende einer Ära. Matthias Geis

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