piwik no script img
taz logo

■ ÖkolumneDas Nicht-Ereignis von Shetland Von Ralf Sotscheck

Die Ölpest von Shetland hat es nie gegeben, wenn man einer unheiligen Allianz aus britischer Regierung und internationalen Medien glauben könnte. „Der gleiche Sturm, der den Tanker auf die Klippen trieb, hat auch für die Beseitigung des Öls gesorgt“, sagte der von Sachkenntnis völlig ungetrübte britische Staatssekretär für Schiffahrt, Lord Caithness, und die Presse plapperte es nach. Und das britische Fernsehen gab am vergangenen Dienstag endgültig Entwarnung, weil die ShetländerInnen ihr „Up Helly Aa“, das traditionelle Wikingerfest, feierten, anstatt Trübsal zu blasen.

Die Medienleute reagieren wie enttäuschte Liebhaber: Da kommen die ersten Meldungen über die Ölkatastrophe in einem der letzten Naturreservate Europas, man nimmt sogleich die beschwerliche Reise auf die sturmumtoste Insel auf sich, und dann handelt es sich bloß um leichtes Rohöl. Das hat eine medienfeindliche Eigenschaft: Ein Drittel verdunstet relativ schnell, ein weiteres Drittel wird von den Wellen in kleine Partikel aufgebrochen und verteilt, und das letzte Drittel gibt auch nicht viel her, weil Leichtöl eben nicht schwarz wie Dieselöl, sondern hellbraun ist. Die Katastrophe springt dem flüchtigen Betrachter nicht ins Gesicht, obwohl die Schäden deshalb nicht weniger gravierend sind. Doch man muß genauer hinsehen, um sie zu erkennen. Für den Alaska-erprobten Reporter und die La-Coruña-gestählte Reporterin ist das in einer Welt mit täglichen Umweltkatastrophen offenbar zu mühsam. Die nächste „richtige“ Katastrophe kommt bestimmt. Also wird die Ölpest von Shetland kurzerhand zum Nicht-Ereignis erklärt.

Geradezu zynisch ist es, wenn verschiedene Zeitungen – nicht nur in Großbritannien – nicht die Katastrophe selbst, sondern die ersten Berichte über die Katastrophe als Bedrohung für die shetländische Tourismusindustrie bezeichnen. Die Ölindustrie und die britische Regierung atmen vermutlich erleichtert auf, daß sie so unerwartet glimpflich davongekommen sind.

Warum fragt eigentlich niemand die Shetland-Bevölkerung, ob das „Tankerunglück“ – aufgrund der über Jahre angeprangerten Fahrlässigkeiten verbietet es sich geradezu, von Unglück zu reden – ihre Lebensqualität beeinträchtigt hat? Dann würde man nämlich erfahren, daß längst nicht alles so harmlos ist. So haben Bronchialerkrankungen, Magenbeschwerden, Haut- und Mundausschläge im Süden der Insel plötzlich zugenommen. Selbst Derek Cox vom Gesundheitsamt gibt zu, daß er auf eine „kleine Handvoll unnormaler Ergebnisse“ bei seinen Untersuchungen gestoßen sei. Die stehen allerdings „nicht notwendigerweise in Verbindung mit dem Öl“. Warum hakt da niemand nach? Rick Steiner von der Universität Alaska warnte in der vergangenen Woche vor dem Irrglauben, daß sich die Umweltschäden in Grenzen hielten, nur weil das meiste Öl scheinbar „verschwunden“ ist.

Inzwischen weiß man auch, wo sich das Zeug herumtreibt. Britische Marine-Taucher konnten in der Spiggie- Bucht sechs Kilometer nördlich vom Wrack „keine Anzeichen von Leben“ entdecken. Am Rande der 650 Quadratkilometer großen Fischereizone westlich von Shetland ist die Konzentration von Kohlenwasserstoffen, die normalerweise zwei bis drei Mikrogramm pro Liter beträgt, um das Zehnfache gestiegen, im Zentrum der Zone ist sie mehrere hundert Mal so hoch. Muscheln, Krabben, Seesterne und Würmer auf dem Meeresboden weisen starke Ölspuren auf, die so in die Nahrungskette gelangen. Ölspuren auch in gezüchteten Lachsen. Aber das spielt sich unter Wasser ab und ist wenig spektakulär. 2.000 tote Vögel und Dutzende verendeter Robben und Otter vor Shetland können nicht mit 350.000 toten Vögeln und 4.000 verendeten Säugetieren bei der Tankerkatastrophe in Alaska konkurrieren.

Die Bevölkerung von Shetland fühlt sich zu Recht von PolitikerInnen und Medien im Stich gelassen. Für eine mediengerechte Katastrophe ist es freilich nicht zu spät: Noch befinden sich 800 Tonnen schönen, schwarzen Dieselöls an Bord des Wracks.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen