piwik no script img

Das Methadon der Autogesellschaft

■ Die Automobilindustrie will mit Pseudo-Öko-Autos den Markt für ihre tonnenschweren Stahlblechkutschen ins nächste Jahrtausend retten

Auf der IAA in Frankfurt wimmelt es von Öko-Winzlingen, Hybrid-Motorräumen und geschlossenen Auto- Müll-Auto-Kreisläufen. Probt die Automobilindustrie den Einstieg in das mensch- und stadtverträgliche „Öko-Mobil“? Gibt es das überhaupt? Verkehrsexperten meinen: ja! Sie sind sich über das individuelle Mobil im Stadtverkehr der Zukunft längst einig: Es ist das Fahrrad. Schon heute spielt das Fahrrad weltweit eine weit größere Rolle im Stadtverkehr als die Benzinkutsche westlich-industrieller Prägung. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Für sechs Milliarden Autos — dies wäre ein angemessener Motorisierungsgrad bei einer Weltbevölkerung von zehn Milliarden — hat diese Erde keinen Platz. Sie hat auch nicht das Erdöl, das Stahlblech oder die Kunststoffanlagen dafür. In der Geschichte der Mobilität steht der Tourenwagen mit Explosionsmotor auf der Liste vom Aussterben bedrohter Maschinen ganz oben an. Ob das Ende plötzlich und schrecklich sein wird oder ein langsames qualvolles Siechtum bevorsteht, weiß derzeit niemand.

In den Führungsetagen der Autokonzerne wächst das Wissen um die Autodämmerung. Am althergebrachten Fahrzeugkonzept — im Grundsatz bis heute nichts anderes als eine motorisierte Postkutsche — wird allerdings eisern festgehalten. Dies gilt auch für die neuen Öko-Autos. Sie orientieren sich nicht an den tatsächlichen Bedürfnissen stadt- und menschenangepaßter Mobilität, sondern an den Produktnormen des Tourenwagens: Er muß vier Personen und Gepäck bei Tempo 140 viele hundert Kilometer und ohne Pause transportieren können und soll den Insassen bei Aufprallgeschwindigkeiten von 50 bis 100 Stundenkilometern eine reelle Überlebenschance bieten. Kein Wunder, daß Solar-Autos, die nach diesen Maßstäben gebaut werden, in den meisten Kriterien Benzinkutschen hemmungslos unterlegen sind.

Die Präsentation derartiger Öko-Autos hat fast ausschließlich den Zweck, die Überlegenheit der Benzinkutsche zu demonstrieren. Die Medien spielen das Spiel mit: zu teuer, noch nicht ausgereift, problematisch, nett, aber unpraktisch — so lauten die einschlägigen Urteile über die IAA-Ökos. Die Konzernchefs der Autoindustrie pflichten augenzwinkernd bei. Peter Hanenberger, Leiter des technischen Entwicklungszentrums der Adam Opel AG, hat auf der IAA verraten, worum es geht: „Im Prinzip gibt es das Stadtauto schon heute. Wir denken da an so handliche und kompakte Fahrzeuge wie unseren Opel Corsa.“

Kein Ende der Automobildominanz

Konstruiert man dagegen ein motorisiertes Vehikel, das sich an der städtischen Verkehrsrealität, an Mobilitätsbedürfnissen und Umweltanforderungen orientiert, so kommen ganz andere Fahrzeuge heraus: Sie sind extrem leicht, klein, langsam, bieten einem bis zwei Menschen Platz und lassen sich bei Bedarf zu Mehrpersonenfahrzeugen zusammenstecken. Sie fahren mit einem Elektromotor, Solarzellen und Batteriestrom, und die Energie dafür kommt aus Solardächern und/oder dezentralen kraftwärmegekoppelten Heizkraftwerken. Solche Fahrzeuge waren auf der IAA nicht zu sehen. Vielleicht ist das ja gar nicht so schlimm. Auch diese Autos könnten nur eine Übergangsphase zum Ende der individuellen Massenmotorisierung darstellen, als Methadon der Autogesellschaft sozusagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen