■ Das Manifest der Glücklichen Arbeitslosen: Die Gesellschaft sollte den Arbeitslosen danken, schließlich fördern sie kräftig das Wachstum: „Endlich habe ich Zeit“
Wir wissen alle, daß Arbeitslosigkeit nicht abgeschafft werden kann. Läuft der Betrieb schlecht, dann wird entlassen. Läuft er gut, dann wird in Automatisation investiert – und auch entlassen. In früheren Zeiten wurden Arbeitskräfte gefordert, weil es Arbeit gab. Nun wird verzweifelt Arbeit gefordert, weil es Arbeitskräfte gibt, und keiner weiß, wohin mit ihnen, denn Maschinen arbeiten schneller, besser und billiger.
Offiziell herrscht der „Kampf gegen die Arbeitslosigkeit“, eigentlich ist er ein Kampf gegen die Arbeitslosen. Zu diesem Zweck werden Statistiken verfälscht, Pseudo-Arbeitsplätze beschafft und schikanöse Kontrollen durchgeführt. Da solche Maßnahmen immer unzureichend sind, wird behauptet, der Arbeitslose habe seine Situation selbst verschuldet. Man macht aus den Arbeitslosen „Arbeitssuchende“, um die Realität zu zwingen, sich der Propaganda anzupassen. Der Glückliche Arbeitslose sagt dagegen laut, was jeder weiß:
„Endlich habe ich Zeit...“
In der Öffentlichkeit darf nur von Arbeitsmangel die Rede sein, erst im Privaten wagt man, aufrichtig zu sein: „Ich wurde entlassen, geil! Endlich habe ich Zeit, jeden Tag auf Parties zu gehen, brauch' nicht mehr aus der Mikrowelle zu essen und kann ausgiebig vögeln.“ Soll diese Trennung zwischen privater Weisheit und öffentlicher Lüge aufgehoben werden? Man sagt uns, es sei nicht der richtige Moment, die Arbeit zu kritisieren, es sei eine Provokation, die den Spießern gerade recht käme. Noch vor 20 Jahren konnten die Arbeiter die Arbeit an sich in Frage stellen. Heute müssen sie, nur weil sie nicht arbeitslos sind, Zufriedenheit heucheln, und die Arbeitslosen müssen, nur weil sie keine Arbeit haben, Unzufriedenheit heucheln. Die Kritik der Arbeit hat sich in Wohlgefallen aufgelöst. Der Glückliche Arbeitslose ist über diese infantile Erpressung erhaben.
Wer kann von sich heute noch behaupten, er mache sich mit seiner Arbeit nützlich? Der „Dienstleistungs“-sektor beschäftigt nur Dienstboten und Computeranhängsel, die keinen Grund haben, stolz zu sein. Selbst ein Arzt fungiert nur noch als Handelsvertreter der pharmazeutischen Konzerne. Entscheidend ist nicht mehr, wozu etwas nützt, sondern wieviel man damit verdienen kann. Gerade weil Geld das Ziel der Arbeit ist und nicht ihr gesellschaftlicher Nutzen, existiert Arbeitslosigkeit. Was passiert, wenn ein Konzern ankündigt, daß er so und so viele Arbeitsplätze vernichtet? Alle Börsenspekulanten loben seine Sanierungsstrategie, die Aktien steigen, und bald darauf wird die Bilanz die entsprechenden Gewinne aufweisen.
Auf diese Weise schaffen die Arbeitslosen mehr Profit als ihre Ex-Kollegen. Man sollte dem Arbeitslosen dafür danken, daß er wie kein anderer das Wachstum fördert. Der Glückliche Arbeitslose ist der Meinung, daß er für seine Nichtarbeit entlohnt werden muß. Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, so liegt das nicht daran, daß er keine Arbeit hat, sondern daß er kein Geld hat. Also sollten wir nicht von „arbeitslos“, sondern von „geldlos“, nicht mehr von „Arbeitssuchenden“, sondern von „Geldsuchenden“ reden, um die Dinge klarer zu stellen.
Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, dann liegt das auch daran, daß der einzige gesellschaftliche Wert, den er kennt, die Arbeit ist. Er hat nichts mehr zu tun, er langweilt sich. Der Grund dieser existentiellen Misere ist natürlich die Arbeit und nicht die Arbeitslosigkeit. Der Glückliche Arbeitslose weiht neue gesellschaftliche Werte ein, auch wenn er nichts anderes schafft. Er entwickelt die Kontakte mit einem Haufen sympathischer Menschen. Er ist sogar bereit, Resozialisierungskurse für gekündigte Arbeitnehmer zu geben. Immerhin verfügen alle Arbeitslosen über eine preiswerte Sache: Zeit. Das könnte ein historisches Glück sein, die Möglichkeit, ein vernünftiges, sinn- und freudvolles Leben zu führen, eröffnen. Man kann unser Ziel als eine Zurückeroberung der Zeit kennzeichnen. Dabei ist der Glückliche Arbeitslose ein aktiver Mensch. Gerade deshalb hat er keine Zeit zu arbeiten.
Es wurde uns erwidert, der Glückliche Arbeitslose sei nur arbeitslos im Sinne des heutzutage üblichen Gebrauchs des Wortes „Arbeit“, also „Lohnarbeit“. Dazu müssen wir ausdrücklich sagen, daß der Glückliche Arbeitslose zwar keine Lohnarbeit sucht, doch sucht er auch keine Sklavenarbeit. Und es gibt, soweit wir wissen, nur zwei Arten von Arbeit: Sklaven- und Lohnarbeit. Gewiß gibt's auch Studenten, Künstler und andere Wichtigtuer, die kein Papier schreiben und keinen Napf lecken können, ohne zu behaupten, sie leisteten eine wichtige Arbeit. Sogar die sogenannten Autonomen können kein antikapitalistisches Seminar organisieren, ohne produktive Debatten in Arbeitsgruppen zu führen. Armselige Worte für armselige Gedanken.
Sobald man von Arbeit oder Arbeitslosigkeit redet, hat man es mit moralischen Kategorien zu tun. Diese Tendenz spitzt sich gegenwärtig zu. „Ein Machtwechsel zwischen zwei Weltanschauungen hat stattgefunden“, so ein Sozialexperte in Washington. „Statt Armut als Konsequenz ökonomischer Ursachen zu sehen, dominiert nun jene Denkschule, die Armut als Folge moralischen Fehlverhaltens sieht.“
Ein Stichwort der herrschenden Propaganda heißt: Die Arbeitslosen seien ausgeschlossen, und zahlreiche Gutmenschen plädieren für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Was das eigentlich heißt, erklärte ein Unesco-Humanist auf dem Kopenhagener „Sozialgipfel“: „Der erste Schritt zur sozialen Eingliederung ist, ausgebeutet zu werden.“ Danke für die Einladung!
Vor 300 Jahren guckten die Bauern neidisch das Schloß des Fürsten an. Mit Recht fühlten sie sich von seinem Reichtum, seinen Hofkünstlern und Kurtisanen ausgeschlossen. Nun, wer möchte gern wie ein gestreßter Manager leben, wer will sich den Kopf mit seinen sinnlosen Ziffernreihen vollstopfen, seine blondgefärbten Sekretärinnen ficken, seinen gefälschten Bordeaux trinken und an seinem Herzinfarkt verrecken? Wir wünschen uns eine andere Art von Eingliederung.
Wie Sie jetzt vielleicht verstanden haben, ist unsere Muße sehr anspruchsvoll, theoretisch und praktisch, ernst und spielerisch, lokal und international. Allein in Europa gibt es schon 20 Millionen virtuelle Glückliche Arbeitslose. Eines Tages werden Sie mit Stolz sagen können: Ich habe den Anfang miterlebt. Die Glücklichen Arbeitslosen
Gekürzte Fassung
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