Das Märchen vom Übermoped

„Größer, schneller, weiter, schwerer“ war das Motto des „Stehaufmännchens“: Die ARD widmet sich einem idiotischen Fahrzeug – und setzt seinem Konstrukteur Friedel Münch ein dokumentarisches Denkmal („Der Mammut-Mann“, 21.45, ARD)

von ARNO FRANK

Schmunzelnd erinnert sich der gealterte Playboy an einen dreißig Jahre zurückliegenden Ausritt mit Motorrad und Gespielin. Zu den Mühlen von Ramatuelle wollte er das Mädchen chauffieren, um dort ein wenig zu poussieren: „Doch bald wurde der Weg immer enger, bis wir mitten hinein in die Farne fuhren.“ Beim Wenden kippte das Motorrad um. „Aber eine Münch“, sagt Gunter Sachs, „die können Sie nicht aufheben. Auch nicht zu zweit.“ Was er denn dann gemacht habe, will Filmemacher Markus Fischötter von ihm wissen. „Nun, wir legten uns zu dem Motorrad in die Farne.“

Das Fahrzeug war eine Münch 4 TTS, das schwerste, größte, stärkste, teuerste und unsinnigste Motorrad, das jemals in Serie ging: ein aufgebohrter, vierzylindriger NSU-„Automotor mit Lenkern dran“, 100 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von über 200 Stundenkilometern – in einer Zeit, da japanische Großkonzerne erste Gehversuche mit schwachbrüstigen Mofas unternahmen. Die maßlose Maschine wurde unter den Maßlosen, dem Jetset, zum exklusiven Spielzeug. In freier Wildbahn freilich bekam man die Münch nur selten zu sehen: 476 Maschinen wurden von 1966 bis 1980 gebaut, weltweit rollen noch 250 davon über die Straßen oder, was wahrscheinlicher ist, genießen ihr Altenteil als polierte Ausstellungsstücke in privaten Garagen. Rund 80.000 Mark müssen heute für eine restaurierte Münch hingelegt werden. Das Einzige, was noch erstaunlicher ist als die „Mammut“ selbst, ist ihr kauziger Erbauer, der hessische Kfz-Mechaniker Friedel Münch.

Erstaunlich ist aber auch, dass die ARD dem „Mammut-Mann“, seinem Werk und seiner abenteurlichen Lebensgeschichte eine liebevolle Dokumentation widmet. Wenn’s im deutschen Fernsehen um Motorräder geht, so sind es entweder ölige Werbefilmchen für japanischen Schrott auf DSF oder aber legendenbildende Reportagen über amerikanischen Schrott, die „kultigen“ Harley Davidson.

Die Geschichte von Friedel Münch aber ist die eines Besessenen, der bis zur völligen Selbstaufgabe gegen die Hondas, Kawasakis, Suzukis und Yamahas dieser Welt ankonstruierte – und seine irrationale Faszination fürs Zweirad in ein technisches Kulturgut münden ließ, das zu einem der kuriosesten Beispiele bundesrepublikanischer Industriegeschichte geworden ist. Geldgeber fand Münch in amerikanischen Industriellen, die seinen perfektionistischen Größenwahn zu schätzen wussten und ihm Werkshallen und Serienproduktion finanzierten. Kaufmännischer Laie, der er war, stolperte Münch dennoch von einer Pleite in die nächste, musste Elternhaus und Werkstatt verpfänden und verlor sogar den Namen „Mammut“.

„Isch war e Stehaufmännsche“, sagt er heute mit schleppender Stimme – seit einem Schlaganfall vor sieben Jahren ist Friedel Münch halbseitig gelähmt. Seine Frau Lotti schildert in breitestem Hessisch die Opfer, die die Familie für den Dämon des Vaters bringen musste: „Wenn isch jetzt eene gewesst wär, die wo jedes Johr no Mallorca wollt, do hätt der kä Münsch gebaut!“

Zu Wort kommen neben Gunter Sachs zottelbärtige Weggefährten ebenso wie Mitglieder des Münch-Fanclubs, der Leiter des Münch-Museums in Walldorf oder japanische Motorradjournalisten, die den gebrechlichen 73-Jährigen wie einen wunderlichen Heiligen verehren.

Seine Wiederauferstehung hat zwei Räder, kostet 170.000 Mark und heißt Münch Mammut 2000. Gunter Sachs hat schon ein Exemplar geordert – für seinen Sohn, weil er selbst nicht mehr fahren kann. Münch selbst hat bis heute nie eine Münch besessen: Er kann sich sein eigenes Motorrad nicht leisten.