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Das Leben voll im Griff

■ Der japanische Erotik-Film „Nightlife in Tokyo“ zeigt die Welt zweier sehr selbstbewußter und eigenbestimmter Prostiuierten

Vor drei Jahren lief in Deutschland ein Film an, der auf ein ganzes Genre neugierig machte: Tokio Dekadenz. Dieses japanische Sado-Maso-Drama schien wenig Anderes als den Alltag einer Prostituierten in Tokios High-Society zu beschreiben. Das tat es allerdings in so unterkühlt-stilisierten Bildern und enthielt sich scheinbar jeder Emotionalität, daß der Eindruck schleimigen Voyeurismus' gar nicht entstehen konnte.

Der Sex-Film präsentierte sich als Zeitbild. Der offene Zeigegestus, der die sehr explizite Darstellung von nackten Körpern und Geschlechtsakten einschloß, führte dazu, daß Tokio Dekadenz nur außerhalb Japans unzensiert zu sehen war. Das gleiche Schicksal hatte zwei Jahrzehnte zuvor auch ein Meisterregisseur wie Nagisa Oshi-ma erleiden müssen, dessen Klassiker Im Reich der Sinne sogar vollständig verboten wurde.

In diesem Sinne ist Nightlife in Tokyo vom Regisseur Banmei Takahashi bahnbrechend. Zum ersten Mal in der Geschichte des japanischen Films wurden hier dem japanischen Publikum unverhüllte Schamhaare zugemutet. Als Grundlage diente dem Film eine Dokumentation über Frauen in der Sexindustrie.

Regisseur Takaha-shi verdichtete daraus die Geschichte von zwei Prostituierten im Tokio der Gegenwart. Eingestreut in die Filmhandlung sieht man, sozusagen als Quellenangabe, Schwarz-Weiß-Bilder der Hauptdarstellerin Sawa Suzuki vom Fotografen Nobuyoshi Araki, der auch die Dokumentation bebildert hatte.

In der Anlage ähnelt Nightlife in Tokyo dem besagten Tokio Dekadenz, weshalb ihn der Videoverleih auch als dessen zweiten Teil ausgibt. In Form und Erzählweise aber unterscheiden sich die Werke fundamental.

Die beiden Hauptfiguren Rei (Sawa Suzuki) und Ayumi (Reiko Kataoka) sind selbstbewußte junge Frauen, die ihr Leben eigenbestimmen und keinerlei negativen Einflüssen durch das Business unterworfen sind. Rei ist eine Domina, die damit vorzüglich ihre Machtphantasien ausleben kann. Wenn sie nicht ihre Freier auspeitscht oder pierct, spielt sie in einer Theatergruppe, deren Mitglieder sie auch gerne bedient – dann aber „normal“. Das Leben ist ein Theater, in dem ein unendliches Stück über unendliche Liebe gegeben wird: Wer am besten improvisiert, hat alle Trümpfe in der Hand.

Auch Ayumi hat die volle Kontrolle über ihr Leben. Selbst ohne SM bleibt kein Zweifel, daß sie gegenüber den Freiern das Sagen hat. Im Privatleben hat sie mal einen Juristen, mal einen Mediziner mit Interesse an Sex und Puzzlespiel: Lust und Sicherheit.

Das klingt vielleicht emanzipiert, ist es aber nicht ganz. Etwas zu rosig wird der Beruf der Prostituierten geschildert, und bedauerlicherweise etwas voyeuristisch mutet das Ganze zuweilen an. Als Vertreter des gegenwärtigen japanischen erotischen oder vielleicht genauer: Sex-Kinos allerdings ist Nightlife in Tokyo allemal interessant. Sven Sonne

Sa., 13.7., 21 Uhr, Docks

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