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Archiv-Artikel

„Das Land soll zurückkaufen“

Die SPD-Linke Gerlinde Schermer kritisiert die Privatisierungspolitik des Senats heftig. Auch am 1. Mai werden linke Gruppen gegen die Verramschung der Landesunternehmen auf die Straße gehen

InterviewADRIENNE WOLTERSDORRF

taz: Frau Schermer, Sie gehören seit Jahren zu den linken Privatisierungsgegnern innerhalb der SPD. Warum?

Gerlinde Schermer: Diese Politik hat die Armut in Berlin befördert. Gleichzeitig werden diejenigen begünstigt, die den Staat ausrauben wollen. Wenn weiter privatisiert wird, wird zudem der Verfassungsauftrag in Frage gestellt. Die darin garantierten Leistungen werden nicht mehr erbracht.

Sie selbst sagen, die SPD befinde sich in einer neoliberalen Phase.

Hinter Privatisierung steckt eine Ideologie, die besagt, dass private Anbieter alles besser können und billiger sind. Leider ist nichts davon wahr.

Wie kommt es denn, dass der Senat seit Jahren an diesem Kurs festhält, obwohl die Ergebnisse wenig aufmunternd sind?

Die Politik ist völlig unbeeindruckt von der Wahrheit. Sie gibt weiterhin das Vermögen der Bürger in die Hände von Spekulanten – so bei den Wohnungsbaugesellschaften. Oder an Großkonzerne, wie bei der Gasag, den Wasserbetrieben oder der Bewag. Damit werden nicht nur Arbeitsplätze vernichtet, sondern auch Zukunftspotenziale und vorhandenes Know-how. Wirkliche Wertschöpfung wird vernichtet.

Die bei der SPD für diesen Kurs verantwortliche Politikerin, Ex-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing, zieht hingegen eine positive Privatisierungsbilanz. Ist das falsch?

Wird Vermögen veräußert, hat man eine einmalige Einnahme. Das Land spart dadurch vier Prozent Zinsen, die sonst für einen Kredit fällig wären. Dem müssen aber der Verlust der Arbeitsplätze, der Wegfall der Erträge der verkauften Betriebe und die Mehrausgaben für die gestiegene Arbeitslosigkeit gegengerechnet werden, die die Rationalisierung mit sich bringt. Das tut Fugmann-Heesing aber nicht.

Sie meinen also, die Landespolitik kann nicht rechnen?

Die volkswirtschaftliche Bilanz wird von den Befürwortern der Privatisierung absichtlich nicht vorgenommen, weil die negativ ausfällt. Aber auch die betriebswirtschaftliche Bilanz fällt in weiten Teilen schlecht aus. Positiv ist nur die Bilanz der Gewinne bei den neuen Eigentümern, also den Konzernen.

Ein Beispiel?

Die teilprivatisierten Wasserbetriebe. Absichtlich wurde deren wirtschaftliche Leitung in die Hände von RWE und Veolia, früher Vivendi, gegeben. Die Wasserpreise in Berlin steigen 2004 um 15 Prozent – ganz allein deswegen, weil die den Käufern von Fugmann-Heesing garantierte Rendite aus dem Wasserpreis erwirtschaftet wird. 15 Prozent, das sind 80 Millionen Euro, die die Berliner jetzt mehr zahlen müssen. Die reichen aber noch längst nicht, um die garantierte Rendite zu erbringen. Zusätzlich verzichtet das Land Berlin jährlich auf einen Teil seines Gewinns, 2004 auf 41,2 Millionen Euro. Dieser Verzicht wird sich die kommenden 28 Jahre jährlich sogar um zwei bis drei Prozent erhöhen müssen.

Die Privatisierungsbefürworter betonen stets, dass es Effektivitätssteigerungen gibt.

Was nützt Effektivität, die nicht beim Bürger ankommt? Personal wurde abgebaut, die Personalkosten gesenkt, auch die Fixkosten wie Instandhaltung und Investitionen. Sprich, bei sinkenden Kosten steigen die Gewinne. Es kommt mir doch als Bürgerin nicht darauf an, dass RWE-Aktionäre Rendite erhalten, sondern dass ich eine anständige, ökologisch vernünftige Wasserversorgung habe und dass wir hier im Land Arbeitsplätze erhalten.

Sollte das Land, wie es einige andere Kommunen schon vormachen, die privatisierten Betriebe zurückkaufen?

Ja, ich fordere den Rückkauf der Wasserbetriebe. Der würde rund zwei Milliarden kosten. Bei einem Darlehen mit vier Prozent kommen wir immer noch billiger weg als mit den acht Prozent, die das Land an vertraglich festgelegter Rendite an die Konzerne zahlen muss. Finanztechnisch ist es für uns Berliner sogar kostengünstiger, zurückzukaufen. Aber das ist eine politische Entscheidung.