: Das Lachen am Friedhof der Ratten
Er lebt seit 30 Jahren in Südafrika und hat die verarmte weiße Landbevölkerung fotografiert. Der Resultat: Perfekt komponierte Schwarzweiß-Fotos, die oft gefällig surreal und folkloristisch sind. Eine Werkschau des amerikanischen Fotografen Roger Ballen in Hamburg
VON PETRA SCHELLEN
Stimmt das wirklich: Haben sie die Riten der Schwarzen imitiert, diese Weißen? Jene verarmten Landbewohner, die Roger Ballen, derzeit präsent in den Hamburger Deichtorhallen, in den Dörfern Südafrikas aufspürte. Die auf so bizarren Fotos daherkommen, dass man nicht weiß, ob sie gestellt sind oder nicht?
30 Jahre lang hat der in New York geborene Ballen, aufgewachsen im Umfeld der Fotoagentur Magnum, als Geologe und Minensucher in Südafrika gearbeitet. Immer wieder ist er in entlegene Dörfer gefahren und hat die Verarmung der weißen Landbevölkerung beobachtet. Und begann irgendwann, sie zunächst dokumentarisch, später künstlerischer, auf Schwarzweiß-Fotos zu bannen.
„Platteland: Images of a Rural South Africa“ hieß sein erstes, 1994 ediertes Buch, das einen Aufschrei der südafrikanisch-weißen Community provozierte: Da hatte es doch tatsächlich einer gewagt, nicht die erfolgreiche weiße Minderheit zu fotografieren.
Dabei hat Ballen angeblich gar nicht aufrütteln wollen mit seinen Fotos, die mit dem Irresein der Porträtierten ebenso spielen wie mit dem Horror des Betrachters. Als soziologischer Spurenleger betätigt sich Ballen natürlich trotzdem: Extrem heruntergekommen wirken die Räume, in denen er Kinder und Erwachsene abgelichtet hat und die man lieber nicht für Wohn- und Schlafzimmer hielte. Kreidezeichnungen, Graffiti, zerfetzte Comics zieren nackten Beton. Und oft haben die Bewohner Drähte über die Wände gespannt, um auf verschlungenen Wegen Kontakt zur Steckdose herzustellen.
Wie weit die Fotos mit den Sitzenden oder Liegenden darauf inszeniert sind, bleibt offen. Sicher ist, dass Ballen im Lauf der Jahre immer seltener bloß beobachtete und stattdessen mit seinen Modellen kooperierte. Dass er durchaus mal einen Mann bat, sich wie ein Verstorbener hinzulegen. Und einen schwarzen Jungen, sich mit Papiermaske über ihn zu beugen. Intensiv fixiert er den Betrachter, als wüssten beide, wen sie als nächstes einbalsamieren müssen: die ehemaligen Kolonisatoren.
Das zerschlissene Sofa eines anderen Bildes, auf dem sich eine Katze mit bizarr verschlungenen Beinen bewegt, entstammt dagegen definitiv einem Wohnzimmer. Ein Mini-Tyrannosaurus Rex aus Plastik steht auf dem Boden – Relikt weißer Herrschaft in diesen Breiten, zum Bonsai erstarrt und unverwüstlich?
Tiere gibt es oft bei Roger Ballen; sie repräsentieren Elend und Geborgenheit zugleich. Ratten, Katzen, Hasen und Hühner kann man da finden, immer nah beim Menschen und oft abstoßend arrangiert. Auf dem „Rattenfriedhof“ zum Beispiel, auf dem drei leblose Körper unter an die Wand gepappten Papierkreuzen liegen. Lachend telefoniert ein Weißer mit Zahnlücke dazu.
Und der Hahn vor blutbeschmierter Wand, beäugt von einem aus der Tapete lugenden Kopf: Was tut er dort, was kommuniziert der Fotograf überhaupt in seinen Bildern, die Tiere, Möbel-Rudimente und entsetzt blickende Gestalten kombinieren? Der Fotograf verrät es nicht. Er experimentiert lieber und macht den Menschen oft zum Requisit. Denn eigentlich will er nicht ethnographisch oder folkloristisch auf seine Protagonisten schauen. Und schon gar nicht wäre man befugt, seine Ingredienzien explizit als Chiffren des Untergangs der weißen Vorherrschaft zu deuten. Wenn auch die Versuchung groß ist auf Bildern wie „Loner“: Eine weiße Puppe ist da über einem Bett mit einem schwarzen Schlafenden ans Kreuz genagelt, als hätten sich die „weißen Götter“ durch ihr selbstgerechtes Verhalten in Südafrika selbst diskreditiert. Ein an den elektrischen Stuhl erinnerndes Kabel ist diskret um den Hals der Puppe geschlungen.
Ein Bild, eine Spur zu plakativ – wie man überhaupt den Eindruck gewinnt, dass Ballen zu viele Klischees bedient: Sehr schwarzglänzend ist die Haut der afrikanischen Jungen. Sehr weiß, fast maskenhaft leuchten ihre Pupillen. Fast karnevalistisch grotesk grinsen andererseits die Masken der Weißen.
Auffallend groß ist auf diesen Bildern überhaupt die Zahl der realen und gemalten Masken. Und ein bisschen beginnt man den Fotografen zu verdächtigen, Ingredienzien der schwarzen Gesellschaft in den Alltag dieser Weißen zu schmuggeln. Denn natürlich hat er all diese Dinge vorgefunden. Sie aber zu quasi-naturreligiösen Ritualen zu arrangieren, als ob die Weißen die Schwarzen in einer bizarren evolutionären Folge nachahmen wollten – dazu war er nicht verpflichtet.
Und so wird einem zunehmend unwohler, während man durch die Ausstellung wandert. Diesen Effekt mindern auch die abstrakteren Bilder nicht: Immer stärker drängt sich der Eindruck auf, dass sich Ballen in den letzten Jahren ans – von Weißen nachinszenierte – Ritual verlor. Dass er exotische Requisiten zu surreal-geschmeidigen Stillleben arrangiert, ohne sich um den Unterschied zwischen abgeschauter Pose und echtem Ritual zu scheren. Nimmt er sie ernst, fürchtet oder belächelt er die archaischen Riten, die sich als kaum verhohlener Subtext in seine Fotos geschlichen haben?
Fragen, die seine Fotos nicht beantworten – einfach, weil sich Ballen nicht entschieden hat. Denn natürlich changiert er einerseits bewusst zwischen Dokumentar- und Kunstfotografie. Andererseits hat er aufgrund der 30 in Südafrika verbrachten Jahre gelegentlich den Draufblick verloren. Er ist tatsächlich der Versuchung erlegen, Folkloristisches zu inszenieren und Archaisches in den Alltag der Weißen hineinzubeamen.
Der Subtext ist klar: Das Spiel mit Masken, magischen Kreisen, Opfer-Hähnen und Blut passt eben nicht zu den Weißen. Solche Exotismen sind Lebensart der Schwarzen. Alles andere ist unzulässige, allenfalls künstlerisch verwertbare Mixtur. Und dies offenbart – so gelungen komponiert etliche Fotos sein mögen – einen nie ganz verscheuchten kolonialistischen Blick.
Die Ausstellung ist bis 26.8. in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.