piwik no script img

Das Glashaus der Gesetzestreuen

■ Die Verfechter der Volkszählung haben schon ein langes Sündenregister

Berlin (taz) - Gesetzesbrecher sind sie und zur Unterminierung unseres Rechtsstaates rufen sie auf, so die einhellige Meinung quer durch die großen Parteien über die Volkszählungsgegner. Aber während sich Volkszählungsboykotteure schlimmstenfalls einer Ordnungswidrigkeit schuldig machen, haben die Volkszählungsbefürworter schon jetzt ein langes Sündenregister aufzuweisen: Rechtsverstöße und Schlampereien, die einen Vorgeschmack geben auf die „korrekte“ Durchführung der Volkszählung und das Datenschutzverständnis ihrer Befürworter. Ein Auszug aus dem Sündenregister: „Ihr Name wird nicht auf elektronischen Datenträgern gespeichert“, hieß es ursprünglich auf den Volkszählungsbögen groß und breit. Nur diese Angabe war eindeutig falsch. Nach Protesten mußten die Bögen eingestampft und korrigiert werden. Aus ärger über das Volkszählungsberatungstelefon der Grünen ließ Bundestagspräsident Jenninger kurzentschlossen den entsprechenden Telefonanschluß im Bundes haus kappen. Tenor jetzt eines Gutachtens des parlamentarischen wissenschaftlichen Dienstes zu dieser Telefonsperre: rechtlich nicht haltbar. Und wenn die Verantwortlichen auf höchster Ebene es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen, warum sollen da auf unterer Ebene die kleinen Behördenangestellten beim Datenschutz nicht auch einmal ein Auge zudrücken. Im nordrhein–westfälischen Viersen schickte das Sozialamt kurzerhand dem Amt für Volkszählung zur Zählerbestellung die persönlichen Daten von 30 Sozialhilfeempfängern rüber. Offizieller Kommentar: „ein Mißverständnis“. Ein paar hundert Kilometer weiter war es das Arbeitsamt, das zur Zählerbestellung den Statistikern mit den Daten von Arbeitslosen „Amtshilfe“ leistete. „Wir werden es nicht wieder tun“, gelobt der Direktor des Herforder Arbeitsamts im Nachhinein. In Berlin sollten auf Anweisung von oben im Zusammenhang mit der volkszählung selbst alle Ordnungswidrigkeiten dem Staatsschutz gemeldet werden. „Unglücklich formuliert“, nannte Berlins Innensenator Kewenig diesen Gesetzesbruch, der erst durch eine Anfrage der AL aufflog und auf Drängen des Datenschutzbeauftragten jetzt korrigiert wurde. Zu guter letzt stehen ausgerechnet diejenigen, die den Volkszählungsgegnern mit Ordnungswidrigkeitenanzeigen drohen, nun selber in Verdacht, gleich millionenfach ordnungswidrig gehandelt zu haben. Seit Ende letzter Woche nämlich muß sich der Berliner Polizeipräsident mit einer Anzeige des Rechtsanwalts Ehrig befassen. Ehrig un jede Vobo–Ini bei Flugblättern peinlich genau achtet: das Impressum mit dem presserechtlich Verantwortlichen samt Absender.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen