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Das Gift, das aus den Fugen kommt

■ 100 Hamburger Schulen sind nach GAL-Schätzung PCB-verseucht

Hamburgs Schülerinnen und Schüler leben gefährlich: Etwa 100 Schulen sind mit hochgiftigen Polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet, schätzt Joachim Schulze-Bergmann, umweltpolitischer Sprecher der GAL-Fraktion. Das Gift gase aus den Fugen der Betonbauten in die Klassenräume, erklärte Schulze-Bergmann gestern auf einer Pressekonferenz. Proben, die die GAL in einem Poppenbütteler Gymnasium gezogen haben, hätten ergeben, daß die schwarze Fugenmasse zu fast einem Drittel aus PCB besteht. Betroffen seien überwiegend Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre gebaute Gymnasien und Gesamtschulen sowie zahlreiche Turnhallen.

Brandneu ist der Verdacht nicht, schon seit drei Jahren müßte dem Senat bekannt sein, daß beim Schulbau die PCB-haltigen Fugenmassen verwendet wurden. Die GAL hatte das Problem bereits 1990 thematisiert, inzwischen liegen sieben kleine Anfragen vor. „Ohne Resonanz“, beklagte Schulze-Bergmann, und findet das Verhalten von Senat, Schul- und Gesundheitsbehörde „katastrophal“. Während in anderen Städten bereits saniert wurde, säßen hier die SchülerInnen weiterhin in PCB-verseuchter Klassenraumluft.

Während sogar die Telekom in Sachen PCB längst aktiv geworden ist - in 1300 Schalterhallen wurde gemessen, die ersten acht in Norddeutschland bereits saniert -, herrscht in Hamburgs Schulen hingegen „ein großes Warten“, wie Schulbehörden-Sprecher Ulrich Vieluf sagt. Seine Behörde wartet auf die Ergebnisse der Gesundheitsbehörde. Die wiederum, so ihr Sprecher Jürgen Breetz, wartet auf die Ergebnisse einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe. Im Oktober oder November soll diese eine „PCB-Fibel“, einen Bewertungskatalog samt Sanierungskonzept, vorlegen. Breetz kündigte jedoch an, daß sich demnächst Schul-, Bau-, Gesundheitsbehörde und Bezirke zusammensetzen wollen, um über Messungen zu beraten.

Das „Wundermittel“ der chemischen Industrie - beständig, feuerfest, einfach herzustellen - galt lange als ungiftig. Ein Unfall in Japan zeigte 1968, daß eine chronische Belastung mit PCB zu schweren Vergiftungen führen kann. Heute debattieren die Wissenschaftler darüber, ob das Stoffgemisch aus 209 Substanzen noch giftiger ist als bisher angenommen. Einige der Bestandteile seien annähernd so gefährlich wie Dioxin, warnt Herrmann Kruse, Toxikologe an der Universität Kiel.

Die GAL will das PCB-Problem nicht auf Schulen beschränkt wissen. Sie fordert, daß sofort alle öffentlichen Gebäude in Hamburg, die möglicherweise mit PCB-Fugen ausgestattet sind, erfaßt werden. In Räumen, die wahrscheinlich mit PCB belastet seien, müsse gemessen und bei mehr als 1000 Nanogramm (Milliardstel Gramm) im Kubikmeter Raumluft müßten umgehend Sanierungen eingeleitet werden.

Vera Stadie

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