piwik no script img

Das Gelände des Hamburger Flughafens verbreitet Lärm, Gestank und InspirationEin weites Feld

AM RAND

Klaus Irler

Der Hamburger Flughafen ist nicht nur ein innerstädtischer Flughafen, es ist auch einer, dessen Start- und Landebahn sich umlaufen lässt. Im Gegensatz zu anderen Flughäfen gibt es an dem Stacheldrahtzaun, mit dem das Rollfeld abgesperrt ist, kein Fotografieverbot aufgrund von Terrorangst. Für die Anwohner ist die Erreichbarkeit des Rollfeldes zum Kotzen. Für Planespotter ist sie ein Grund zur Freude.

Planespotter sind Menschen, deren Hobby es ist, Flugzeuge zu fotografieren. Am Hamburger Flughafen stehen sie auf dem Kronstiegtunnel, unten rauschen die Autos, oben kommen die Flugzeuge. Sie stehen auf einer Anhöhe beim Sootbörn oder am Bayernweg – unter anderem. An manchen Spots haben die Flughafen-Erbauer kleine Fenster im Stahlzaun freigelassen, damit die Objektive der Planespotter besser durchpassen. An anderen gibt es Bänke für Planespotter, die nicht fotografieren, sondern nur gucken.

Mein Lieblings-Spot ist auf einem Erdhaufen, den man nur über einen Trampelpfad erreicht. Um den Erdhaufen herum wuchert Gebüsch und auf dem Haufen befinden sich eine Feuerstelle und drei abgerockte, weiße Plastikstühle – das Standard-Modell, das es überall auf der Welt gibt. Ich habe da noch nie jemanden sitzen sehen. Aber ich kann mir die Szene vorstellen: Schwere Männer mit einem Bier in der Hand, wie beim Angeln sitzen sie da und wenn ein Flugzeug startet, schauen sie hinterher und sagen lange nichts. „Ab nach Hawaii“ sagt einer in die Stille. „Ja“ sagt ein anderer. „Aber nur mit zweimal Umsteigen.“

Die Planespotter auf den Plastikstühlen sind keine Fotografen, sie gehören zu der Spezies, die nur guckt. Sie müssen nicht nachdenken über ihre Sammlung, ihre Foto-Technik oder die Lichtverhältnisse. Sie schauen nur gerne, wenn andere abheben und ankommen. Das tun sie auch in der Dämmerung, wenn ein Landeanflug immer die Geschichte einer Entstehung ist: Am Anfang sind da nur zwei helle Punkte am Himmel. Dann werden aus den zwei Punkten vier. Dann schälen sich die Flügel aus dem Grau heraus. Dann kommt der Lärm und zuletzt der Gestank des Kerosins.

Eines Tages, so denke ich mir, geht eine Tür auf im Flughafen-Sicherheitszaun und ein Lautsprecher verkündet das Ende des Flugverkehrs. Die Planespotter dürfen das Feld betreten, das weite Feld, viel weiter als jedes andere in Hamburg. Die Fotografen rennen los, um De­tailaufnahmen von den stehenden Flugzeugen zu machen. Die Biertrinker stehen auf und warten auf ihrer Anhöhe ab.

Ein paar Tage später kommen die Rollerskater, die Jogger, die Picknicker und die Drachensteiger. Es kommen die Radfahrer, die Federball-Spieler, die Jongleure, die Sonnenbadenden und die Geburtstagfeiernden. Sogar grillen darf man. Nur die Hunde müssen an die Leine.

Ich weiß schon, in Berlin gibt es so ein Feld. Hamburg könnte auch eines vertragen, finde ich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen