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Archiv-Artikel

Das Gedächtnis der Bäume

Das Museum Kurhaus in Kleve zeigt das Werk von Giuseppe Penone. Der Italiener will die Strukturen der Natur offen legen – schabt aber oft nur obsessiv an Bäumen, Blättern und Mineralien herum

Was in Penones Werken übrig bleibt, sieht aus wie das Rückenmark einer zu Tode geliebten Natur

VON KATJA BEHRENS

Die Arte Povera erlebt eine kleine Renaissance. Und nicht erst seit der großen Ausstellung in der Londoner Tate Modern vor vier Jahren, die die in den späten 1960er Jahren vornehmlich von Italien ausgehende Bewegung in großem Stil feierte. So sind in diesen Tagen, wenn lebende Pferde in einer Messekoje auf der Art Cologne dem Altstar Jannis Kounellis zum siebzigsten Geburtstag ihre Referenz erweisen, auch die anderen Künstler wieder gefragt. Diejenigen Künstler, die einst ausgezogen waren, in Ablehnung der technokratischen Anonymität und komplizierten Urbanität mit spartanischen Mitteln und ruralen Materialien den tradierten Werkbegriff aufzulösen und die Einfachheit zu preisen. Einfachheit und Ärmlichkeit wurden bei Arte Povera zum Programm erhoben, Dreck, Staub und Lehm versprachen ästhetischen Mehrwert, und auch wenn die Konstruktionen häufig selbst sehr kompliziert und aufwändig und alles andere als einfach waren, berief man sich auf den Charme des Ursprünglichen, Unprätentiösen. Giuseppe Penone ist da keine Ausnahme. Auch sein Werk ist nur scheinbar unscheinbar und höchstens arm an Variation.

Der italienische Künstler, geboren 1947, lebt, wie viele andere Arte Povera Künstler auch, in Turin. Seit annähernd vierzig Jahren erforscht er in Zeichnungen, Aktionen, Skulpturen und Installationen die Kräfte und die formalen Erscheinungen der Natur. Die Ausstellung in Kleve, die mit Giuseppe Penone ihre Reihe von „Arte Povera“- Positionen (Mario Merz, Giovanni Anselmo) fortsetzt, umfasst den Zeitraum von 1968 bis 2006 und ist die bislang größte museale Einzelausstellung des Italieners in Deutschland.

Neben Conceptual und Land, Eat und Body Art war die so genannte Spurensicherung in den 1970er Jahren ein künstlerischer Parallelpfad der Arte Povera. Die Künstler, die mit ihrem Schaffen zum Ausstieg aus dem etablierten Kunstmarkt aufriefen und aufgebrochen waren, ephemere Phänomene, Veränderungen, Wandel und Wachstum zu beobachten, wurden zu Ethnologen und Archäologen des persönlichen, ländlichen und städtischen Lebens. Observieren, Dokumentieren, Rekonstruieren und Archivieren gehörten nun zur künstlerischen Feldforschung, und tatsächlich ging es auch darum, Prozesse und Strukturen zu Tage zu fördern und auf andere Lebensbereiche zu übertragen. So erinnern manche der künstlerischen Gesten und Entscheidungen Giuseppe Penones an die Arbeiten anderer zeitgenössischer Künstler. Interessanterweise aber, und das unterscheidet ihn von vielen seiner eher konzeptuell arbeitenden Kollegen, hat Penone von Anfang an offenbar immer schon die Musealisierung seines Werkes im Blick gehabt, hat nicht nur vergängliche Aktionen in Film und Foto dokumentiert, sondern auch deren Werkzeuge zur Ausstellung bereitgestellt. Seine großen und seit etwa 1970 unzählige Male wiederholten Bäume sind, so möchte der Künstler seine Arbeit verstanden wissen, frei gelegte Erinnerungen an die Geschichte des Baumes. Er führt mit ihnen die Natur auf ihre innere Struktur zurück, indem er viele Schichten und damit Jahre von ihr abkratzt. Was übrig bleibt, sieht aus wie das Rückenmark einer zu Tode geliebten Natur – oder wie das Innere einer abgenagten Möhre.

Schon mit seinen frühen Eingriffen, etwa den Eisenkeilen, die er in Baumstämme treibt („Scrive,legge,ricorda“, 1969) oder, später, den Steinen, deren Äderung er freilegt, zwingt Penone die Natur in einen ungleichen Dialog. Denn obgleich der Künstler, der begleitend zu seiner Arbeit auch pseudo-philosophische poetische Texte schreibt, ein interaktives Verhältnis zwischen sich, dem Menschen, und der Natur behauptet, arbeitet er besessen daran, bis zuletzt die Kontrolle zu behalten. Ästhetische Gesten des Dominierens und Definierens bestimmen das chauvinistische Verhältnis des Kulturmenschen zur Natur. Der unermüdliche Versuch des Künstlers, die Strukturen der Natur, der Bäume, von Blättern, Haut und Mineralien offen zu legen, erweist sich in der Wiederholung als obsessives Herumgeschabe mit einem nach vierzig Jahren wohl weitgehend aus den Augen verlorenen Ziel. Die ausgekratzten Bäume sehen aus wie Skelette. So endet die Suche nach der inneren Form des Lebens im Bild des Todes.

Museum Kurhaus KleveBis 25.02.2007 Zur Ausstellung erscheinen ein Katalog und die deutsche Ausgabe der Schriften des Künstlers von 1968-2004