Das Fazit des IOC-Chefs: Perfektion und Machtlosigkeit
Organisatorisch können sich die Spiele sehen lassen: Es gab viele bunte Bilder. Sportpolitisch hat das Olympische Komitee aber versagt. IOC-Chef Rogge räumt eigene Machtlosigkeit ein.
PEKING taz Jacques Rogge hat nicht viel Zeit. "Er muss gleich zu einem wichtigen Termin", sagt Mediendirektor Kevan Gosper. Eben noch hat der Australier herzlich über seinen eigenen Witz lachen können. Als er zu einer Journalistin mit Fragewunsch etwas zu harsch "Stand up!" gesagt hatte, merkte er sogleich an: "Das war kein Befehl, sondern nur ein Hinweis."
Was für eine Pointe im Land des scheidenden Olympiagastgebers. Gospers Kopf läuft hochrot an. Dann lässt er wissen, dass Rogge bald wegmüsse. Wohin wohl? Zum Organisationskomitee Bocog zur Klärung letzter Fragen? Oder muss er zu seinem Redenschreiber, der die Phrase von den "best games ever" nun doch einbauen soll?
Wie auch immer, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees gibt der Weltpresse nur 40 Minuten für ihre Fragen. Vielleicht ist deswegen seine Eingangsstatement nur 45 Sekunden lang. 45 Sekunden für zweieinhalb Wochen Olympische Spiele in einem brisanten Umfeld, Wettkämpfe in 28 Sportarten und über 300 Entscheidungen. Rogge sagt den völlig überraschenden Satz: "Ich bin sehr erfreut über die Organisation der Spiele." Über die vielen Weltrekorde und olympischen Rekorde in den "State of the Art"-Wettkampfstätten ist er auch erfreut. "Die Spiele hatten zwei Ikonen: Michael Phelps und Usain Bolt." Danke. Ihre Fragen bitte.
Rogge wirkt lustlos. Pressekonferenzen mögen Pflichtveranstaltungen für ihn sein, aber den Höhepunkt der Olympiade, die Spiele, zu resümieren, das sollte ihm eigentlich mehr Spaß machen. Trocken und uninspiriert antwortet der Belgier in der kommenden halben Stunde im großen Saal des Hauptpressezentrums. Zu Beginn dominieren Zahlen: China hat sich neben den Briten am stärksten steigern können, was die Medaillengewinne angeht; fast 30 Plaketten mehr hat China im Vergleich zu den Sommerspielen in Athen gewonnen, besser waren nur die US-Amerikaner, die in etwa das Ergebnis von vor vier Jahren wiederholen konnten. China ist also der Shootingstar der Spiele. "Ich gebe keinen Kommentar ab zum Leistungssprung, das müssen Experten tun", sagt Rogge.
Sportlich lief es ja nicht schlecht fürs Komitee. Es gab schöne bunte Bilder zu bestaunen, rührende Geschichten zu erzählen, der Fernsehsender NBC hat seine beste Quote an einem Samstagabend seit 18 Jahren vermelden können - mit einem Michael-Phelps-Rennen. Und nur sechs Dopingfälle wurden aktenkundig, das ist eine lächerlich kleine Zahl. In Sydney wurden noch 12 Doper überführt. In Athen waren es 24. Rogge hatte vor den Spielen mit 30 bis 40 Positivfällen gerechnet. "Aber sie müssen bedenken, dass es in dem Monat vor Peking 39 Fälle gab", sagt Rogge. Offenbar wurde alles getan, um Gewohnheitsbetrüger vorm großen Fest auszusortieren.
Sportpolitisch lief es alles andere als gut fürs Komitee. Erst das Desaster mit dem Staffellauf, dann die Beschränkung des Internetzugangs durch die Chinesen. Und auf den extra ausgewiesenen Demonstrationszonen in Peking fand keine einzige Kundgebung statt, obwohl 77 Anträge gestellt worden waren. "Wir haben das ungewöhnlich gefunden, und es gab Gespräche mit dem Bocog darüber", viel mehr sagt Rogge nicht dazu. "Die Situation war nicht perfekt, aber sie hat sich sicherlich verbessert im Vergleich zu vorher." Er meint die Menschenrechtssituation.
Die etwa 300 Journalisten kennen diese Sätze. Rogge hat sie zig Mal wiederholt. Auch diesen: "Wir sind nur eine Sportorganisation, wir können keine Veränderungen erzwingen." Und weiter: "Wir können einer souveränen Regierung nicht reinreden, wir müssen das chinesische Rechtssystem respektieren." Rogge glaubt noch immer an die heilsame Kraft der Spiele, an die olympische Therapie, die China guttun werde - sogar in Dingen des Umweltschutzes. Dann verkündet Rogge sein Abschlussmotto: "Die Welt hat von China gelernt und China von der Welt." Bei der Abschlussfeier spricht er von "außergewöhnlichen Spielen."
2012 geht es für Rogges Komitee nach London - wenn er dann noch Präsident ist. Im Herbst will er bekanntgeben, ob er noch einmal kandidieren wird. Er sieht seine Position nicht geschwächt. "Man muss als IOC-Chef damit rechnen, kritisiert zu werden. Das ist kein Problem." Hu Jintao, der chinesische Staatschef, hätte es nicht besser sagen können.
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