Das Ding, das kommt: Ein Hauch von Cannes im Michel
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Das Kissen ist die Vorhut. Klein und unscheinbar, regelrecht verloren wird es am Donnerstag erstmals im Hamburger Michel Gottesdienst feiern und zum Knien und Beten animieren.
Rot, knallrot ist es und soll die Sensation der nächsten Wochen ankündigen: die Verlegung des neuen roten Teppichs in der bekanntesten von Hamburgs Hauptkirchen, dem trotz Elbphilharmonie immer noch prominenten Wahrzeichen.
Bisher hat sich der Michel – barock-gold-weiß von innen – mit einem blassgrünen, dezent-hanseatischen Teppich begnügt. Sieben Jahre hat er da gelegen, Schmutz und Keime von elf Millionen Besuchern ertragen, bis er selbst nicht mehr tragbar war.
Weil dies aber ein säkularer Staat ist, gab es kein Steuergeld für die Renovierung, und die Kirche selbst hat leider auch keins. Also bat Hauptpastor Alexander Röder um Spenden – mit Erfolg: 333 Hamburger haben 65.000 Euro gegeben, um sich in dem Bodenbelag zu verewigen.
Und das, obwohl der Hanseat gar nicht so auf Kirche und Glauben steht und eher als Heide gilt. Aber erstens ist Hamburgs Michel nicht irgendwer. Zweitens eröffnet sich hier die seltene Chance, das Gotteshaus vom allzu Spirituell-Demütigen zu befreien, quasi zu verweltlichen.
Denn der rote Teppich bringt Glanz und Glamour, sogar einen Hauch von Cannes an die Alster. Erinnert gar ein bisschen an den griechisch-antiken Helden Agamemnon, der den teuren Purpurteppich nicht betreten wollte, um die Götter nicht zu reizen. Oder an die 1902 mit rotem Teppich eröffnete erste Luxus-Dampflok von New York nach Chicago.
Wenn man bedenkt, dass der Michel – wie viele Barockkirchen – wie ein weltlicher Ballsaal wirkt, spürt man, dass ihm der rote Teppich sehr gut steht. Kirche und Päpste – das war in Mittelalter und Barock keine allzu keusche Veranstaltung, der rote Teppich ist eine Reminiszenz an diese Zeiten.
Höchst zeitgemäß ist die Sache außerdem: Jede anständige Hochzeits-Event-Firma wirbt heute damit, fürs Jawort einen roten „Event-Teppich“ in die Kirche zu rollen. Das wird im Michel – schlauer Marketing-Trick – künftig nicht mehr nötig sein. Ist auch billiger für die Eheleute.
Nun kann es natürlich passieren, dass die um ihr Angebot geprellten Hochzeits-Eventmanager dagegen klagen, den Michel gar der Wettbewerbsverzerrung bezichtigen. Das aber kann Hauptpastor Röder in Ruhe abwarten, denn die christliche Erklärung hat er sich für den Fall der Fälle schon zurechtgelegt.
Der Christenmensch, sagt Röder, solle sich durch den neuen roten Teppich von Gott höchstpersönlich eingeladen fühlen, mal kurz wichtig werden und meinen, er bekäme wirklich die Goldene Palme von Cannes. Natürlich nur kurz fürs Foto. Zum In-der-Kirche-Heimischfühlen ist Michels Teppich nicht gedacht. PS
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