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Das Ding, das kommtKrickelkrackel-Kampagne

Der Trend sei „nicht nachvollziehbar“, hat sich der Lübecker Kriminaldirektor Jochen Berndt im Juni bei der Präsentation der Kriminalstatistik des vergangenen Jahres gewundert. Denn entgegen dem bundesweiten Trend und entgegen der Beobachtung von Polizeidirektor Heiko Hüttmann, dass Jugendliche heute „nicht mehr unbedingt nach draußen gehen“, sondern lieber vorm PC rumsitzen, sei die Zahl der Sachbeschädigungen durch Graffiti in Lübeck enorm gestiegen: um 80 Prozent nämlich.

Barbara Angermann, Vorstandsmitglied der Antigraffiti-Initiative Lübeck (Agil) kann sich den Anstieg so erklären: Die AnwohnerInnen rufen – „so haben wir das Hausbesitzern empfohlen“, sagt sie – heute sofort die Polizei. Gemeinsam mit Henning Raffel hat sie die Bürgerinitiative gegründet, um dem „komischen Krickelkrackel“, so Angermann zur taz, den Kampf anzusagen. Manchmal gehe der Spuk so weit, dass er sich „für Lübeck schäme“, wenn er Bekannten die Innenstadt zeige, ergänzt Raffel. Schließlich gehe es um ein Weltkulturerbe!

Solch Unverständnis kennt Graffiti-Sprüher Sascha Siebdrat alias Vaine. In der Großwohnsiedlung Steilshoop in Hamburg ist er als Jugendlicher mit der Szene in Berührung gekommen. Ende der 1980er-Jahre wurde er dann erwischt, nachdem er einen S-Bahn-Waggon verziert hatte.

Seitdem sprüht Vaine nur noch legal und kann davon gut leben. In den Vierlanden bei Hamburg hat er ein Atelier, sprüht Nivea-Dosen in Büro­etagen, McDonald‘s-Burger auf Hauswände und Fantasie-Landschaften auf Kita-Hauswände – großformatig („zwei Guinness-Buch-Einträge“) und „kundenorientiert“, schreibt er.

Dass er jetzt in Lübeck sprüht, nimmt ihm deshalb auch die Agil nicht übel. Schließlich geht‘s ganz legal um Werbung fürs Weltkulturerbe: Direkt vor dem Holstentor verziert er im Rahmen der Museen-Marketing-Aktion „Echt nur bei uns“ einen 28 Quadratmeter großen Platz – mit einem bunten Holstentor.

Erstmals wird dazu auch einer der vier Holstentor-Siebdrucke Andy Warhols im Holstentor selbst zu sehen sein. 1980 ist das Bild nach einer Fotografie von Christopher Makos entstanden, normalerweise hängt es in der Kunsthalle St. Annen. Mit der Aktion wollen die Lübecker Museen auf Kunstschätze aufmerksam machen, die sich in ihnen verbergen. Bis Ende August präsentiert jedes Haus ein Exponat auf ungewohnte Weise. Während draußen der Kampf gegen das Krickelkrackel tobt. MATT

Sa, 18.7., 10 bis 18 Uhr, Lübeck, Holstentor

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