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Das Deutsche Theater zieht ins ZeltEreignis Viola-Cesario

Geballte Harmlosigkeit? Saisoneröffnung am Deutschen Theater in Berlin mit Shakespeares "Was ihr wollt" von Michael Thalheimer unter dem schwer intellektuellen Motto "Liebesgeschichten".

Das Deutsche Theater ist ins Zelt umgezogen und schon gelingen in der Spielstätte ein paar leichthändige Clownsnummern. Bild: dpa

Krawatsch! Mit Zottelperücke und hellem Anzug stakst hinten ein langer Lulatsch aus der Bretterwand, bis ihm auf dem glitschigen Grund das Bein wegrutscht und es ihn der Länge nach in den dunklen Matsch haut, der die gesamte Bühne ausfüllt. Bernd Stempel alias Sir Toby Rülps schaut verdutzt, steht wieder auf, macht ein paar tänzelnde Hüpferchen, um gleich wieder in die Pampe zu sausen.

Solch leichthändige Clownsnummern kann Michael Thalheimer, der strenge Guckkasten-Formalist, also auch. Er inszeniert mit "Was ihr wollt" nach "Hamlet" sein zweites Shakespeare-Stück. Die Komödie steht zum Auftakt der neuen Spielzeit am Deutschen Theater Berlin unter dem Interimsintendant Oliver Reese (Motto: "Liebesgeschichten").

Ab 2009/10 geht der ehemalige Chefdramaturg dann als Intendant nach Frankfurt/Main und vom Thalia Theater kommt Ulrich Khuon ans Deutsche Theater. Derzeit wird im Zelt vor dem Deutschen Theater gespielt, im großen Haus sollen die Sanierungsarbeiten zum Jahreswechsel abgeschlossen sein.

Hamlet in der Zeltstätte scheint für die Thalheimer-Regie ein Glücksfall, da es die Auflockerung allzu angestammter Formen bewirkt. Heraus kommt ein ziemlich verspielter, sich im Übertriebenen weidender, teilweise arg veralberter, sich bisweilen aber zu dringlicher Wildheit aufschwingender Nummern-Abend über die quälenden Wirrnisse der Liebe, angesichts derer letztlich noch jedes Komödienspiel in Bitternis umschlägt. Michael Schweighöfer gibt den bierernsten, böse aufbellenden Narren, ein angewurzelter Giftzwerg der Desillusions-Pfeile auf die Herzbewegten schießt.

Diese lieben bekanntlich alle fehl, man verfällt den Falschen, der Verkleideten, einem vorgetäuschten Bild: Herzog Orsino liebt Olivia. Die liebt Cesario. Der ist jedoch eigentlich die als Mann verkleidete Viola, welche wiederum ihren Herrn Orsino liebt. Erfüllung findet keine/R, das shakespearesche Happy End mit Doppelpaarung mittels Zwillingsbruder ist ein Notbehelf.

Thalheimer, der alle Rollen wie zu Shakespeares Zeiten mit Männern besetzt und so auf die Freilegung geschlechtsunabhängiger Universalmechanismen zielt, verzichtet auf jede Lösung. Der von ihm tragisch angelegte Malvolio, als der Michael Benthien ein vergeblich groteskes Balzgebaren an den Tag legt, bleibt allein zurück, während die andern unvereint von dannen stapfen. Manches wie das Spiel Ingo Hülsmanns dreht in der Männercrew als Olivia vielleicht gar zu tuntig auf und treibt das Ganze gelegentlich doch in Richtung klischierte Travestie-Klamotte. Matthias Bundschuh gibt jedoch eine berührend um Sir Toby buhlende Maria, spricht mit bebenden Lippen ein Shakespeare-Sonett und führt den Chor zu Pink Floyds "Wish you were here" an.

Und ein Ereignis ist Stefan Konarske, der Viola-Cesario der mit vorgeschobenen Schultern, Schlotter-Armen und nervös fahrigen Händen zum Zitter-und-Bibberwesen macht, liebegeschüttelt und an ihr irre werdend. Grimassenhaft parodiert der brillante Alexander Khuon den gefühlsverliebten Narzissten Orsino, der sich im Schwärmen und Stelzen gefällt und dessen Liebe bloß wortgehülste Behauptung bleibt. Alles Hohe und Hehre treibt er gnadenlos in die Karikatur. Cesario reißt er sich brutal an die Lippen, um ihn kurz darauf wieder in den Schlamm zu stoßen. Das Illyrien auf Olaf Altmanns Bühne ist morastiges Triebgebiet, in dem das Irdische jeden Schritt schmatzend beschwert und alle herniederzieht.

Liebe, das meint hier stets ein körperliches Begehren, dem die Figuren schutzlos ausgeliefert sind, das sie urplötzlich befällt, grundlos und wie ein Wahn. Eine Liebe des Sich-Jagens und Übereinander-Herfallens, des Sich-Wälzens und wütenden Wäsche-Zerrens überquellenden Körper.

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