: Das Denken über die Stadt
■ Die letzte Ausstellung in der Akademie-Galerie im Marstall: "Künstler träumen Berlin" / Von den Utopien der zwanziger Jahre ist heute nichts mehr zu sehen
Auf einem Podest aus Sperrholzplatten liegt ein Mumienschlafsack, als wäre er gerade erst von seinem Bewohner verlassen. Im Zentrum einer Ausstellung „über künstlerische Visionen zur historischen Mitte der Stadt“ verweist dieses Minimum an schützender „Behausung“ provozierend auf die von der Entwicklung der Stadt Ausgestoßenen. Phantasien, Visionen, Träume?
Nicht einmal Alptraum mehr ist diese Chiffre für Obdachlosigkeit, die Klaus Hoefs als Beitrag zum Thema „Künstler träumen Berlin“ gestaltet hat, entspricht sie doch der harten Wirklichkeit. Das kreative Potential der Künstler anzuzapfen für die mühsame Diskussion über Stadtentwicklung, war die Hoffnung der Ausstellungsveranstalter – der Stiftung Neue Kultur, unterstützt von Galerien, der Akademie der Künste und dem Senat für Stadtentwicklung. Aber nein, funktionalisieren lassen sich die Künstler nicht, und statt kreativ nach vorn zu denken, kratzen sie an den wunden Punkten im Stadtbild.
Vor allem für die Künstler aus dem Ostteil der Stadt bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Ort, nach der Verwurzelung der eigenen Identität zu fragen. So nimmt der Fotograf Ulrich Wüst in einer melancholisch getrübten Serie von Aufnahmen des leeren Marx-Engels-Forums und dem nebelumwogten Palast der Republik Abschied von der alten DDR. Die Fotografin Gundula Schulze mischt schon etwas mehr Aggressivität und Ambivalenz in ihr Bekenntnis zu der staatlichen Monumentalarchitektur, wenn sie die Ansichten von Abbruchhäusern über die Fassade des Palastes blendet.
Jörg Herolds Vorschlag, den Fernsehturm in einem grotesken Hügelgrab zu versenken, ist ein hilfloser Ausdruck der wütenden Ablehnung, kaum weniger monumental als das Original. Mehr Distanz verrät die begehbare Kaffeetasse, die Micha Kähne als Souvenir-Bude für den Palast der Republik vorschlägt: Hier könnten beispielsweise Krawatten mit Kennedy- und Honecker-Portraits verkauft werden.
Auf den Begriff der Selbstdarstellung reduziert sich das Thema Stadtplanung bei Thomas Eller: Vor eine Collage aus Pappkulissen stadtbildprägender Architekturen – das Rote Rathaus und der Fernsehturm, die Ruine der Dresdner Frauenkirche und die spiegelnden Bankhochhäuser Frankfurts – setzt er die eigene Figur. Die Monumentalisierung des Selbst zum unverwechselbaren Markenzeichen treibt einen Prozeß auf die Spitze, der Repräsentanz zum obersten Ziel hat – die Inhalte werden austauschbar.
Zunächst scheint das „Restaurierte Gemälde“ von Igor Kopystianski in keiner Verbindung mit dem Thema Stadt zu stehen. Das historische Portrait einer Dame zerfällt in einen grob genähten Flickenteppich, dessen „alte“ Fetzen ebenso gefälscht wirken wie die „neu“ eingesetzten Teile. Oder sollte dieses Konglomerat aus Einheitszitaten und unglücklichen Kopien eine Parodie auf den Versuch sein, das historische Stadtbild zu rekonstruieren?
In den zwanziger Jahren galten utopische Visionen der Stadt als Kreativitätstraining der Architekten und bildenden Künstler. Da kreuzten sich Hochbahntrassen mit Flugzeugen, Wohntürme expandierten zu einem eigenen Universum, Baumassen zerplatzen in kristalline Splitter. Von dieser Technik- und Mobilitäts-Euphorie ist schon lange nichts mehr übriggeblieben. Verschwunden scheint vor allem auch der Glaube, mit ästhetischen Konzepten gesellschaftlichen Veränderungen vorgreifen zu können.
Einzig in dem Ensemble von Rainer Görß spukt noch der Funke des Utopischen. In kleinen Skizzen, die man durch Guckis nah ans Auge rückt, entwirft er beispielsweise eine Reihe dynamischer Autobahnmonumente. Diesem Rausch der Geschwindigkeit setzt er Fragmente aus dem aufgebrochenen Beton des Berliner Rings gegenüber. Bruchstücke von vorhandenen Gebäuden wie dem Roten Rathaus oder dem Postmuseum, die Görß schon länger sammelt, sind in seine Installation als Zeugnisse der Geschichte und eines langanhaltenden Prozesses der Veränderung eingebaut. Für die Bürokratie, die im Zentrum seines Puzzles aus Zitaten und symbolischen Formen steht, bilden „Bürotürme“ aus gerolltem und geschichteten Papier das Modell. Auch kristalline und amorphe Formen liefern in der Collage aus Vergangenheit und Zukunft Bausteine des Denkens über Stadt.
Hinter dem geschlossenen Palast der Republik, umgeben von der Schloßattrappe und Jahrmarkt, erscheint der Marstall selbst als ein Ort, an dem die Wirklichkeit ihre festen Konturen verliert. Doch die surreale Atmosphäre hat die Künstler kaum zu Träumen stimuliert. Der Räume im Marstall, die bisher von der Akademie der Künste als Galerie genutzt wurden, haben mit diesem Panorama der Ernüchterung als Ort für Kunst ausgedient. Die Oberfinanzdirektion meldet ihre Besitzansprüche an. Katrin Bettina Müller
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