■ Das Dayton-Abkommen ist gefährdet, weil es die Macht der Eliten in Bosnien, Serbien und Kroatien nicht angetastet hat: Atempause für die Nationalisten
Wer sich noch an den Kriegsbeginn im ehemaligen Jugoslawien erinnert, an die unzähligen Waffenstillstände, die beschlossen und nie eingehalten wurden, der könnte jetzt eigentlich zum Optimisten werden. Denn das wichtigste Ziel des Dayton-Abkommens ist erreicht: Die Frontlinien zwischen den bosnischen Kriegsparteien wurden entschärft. Anders als die UNO-Truppen sorgen die 60.000 Mann der Nato, die sogenannten Ifor-Truppen, dafür, daß der militärische Teil des Abkommens erfüllt und nicht mehr geschossen wird.
Der Abzug der UNO und der Einsatz der Nato-Truppen hat sich also gelohnt. Damit verband sich jedoch auch die Hoffnung, daß eine politische Dynamik entfaltet wird, die einen echten Friedensprozeß in Gang bringt. Auf diesem Feld sieht es schlechter aus. Jetzt rächt sich, daß in Dayton zu viele politische Streitpunkte offenblieben. Scheitert jedoch der politische Teil des Abkommens, ist auch die militärische Mission gefährdet: Dann nämlich müßte die Entscheidung, die Ifor-Truppen am Ende dieses Jahres abzuziehen, revidiert werden. Wer will sich aber solch ein kostspieliges Unternehmen auf Dauer leisten?
So liegt es eigentlich im Interesse der tonangebenden Mächte, den politischen Prozeß in Bosnien- Herzegowina voranzubringen. Doch die Verhandler verfügen offensichtlich über keine konsistente Strategie. Vor allem scheinen sie nicht zu wissen, wie sie den von ihnen selbst erzeugten Widerspruch, einerseits Bosnien-Herzegowina als Gesamtstaat zu erhalten und andererseits sogenannte politische Entitäten zuzulassen, auflösen sollen. Sie haben in Dayton dafür keine Prozeduren festgelegt. Das betrifft die Rückkehr der Vertriebenen ebenso wie die Frage der Kriegsverbrecher, die Sicherung der Massengräber, die Durchsetzung der Bewegungsfreiheit etc. Immer wieder verlangen neue Streitpunkte einen Schiedsspruch der internationalen Garantiemächte. Und selbst wenn der wie durch Koschnick in Mostar erfolgt, ist keineswegs garantiert, daß er auch anerkannt wird.
Durch das Dayton-Abkommen wurde die Machtstruktur der nationalistischen Eliten nicht angetastet. So mußten die serbischen Nationalisten zwar ihre weiter im Hintergrund wirkende Führung um Radovan Karadžić und Ratko Mladić nach außen hin fallenlassen, der staatliche Aufbau der „Serbischen Republik“ wird jedoch dadurch nicht behindert. Sie verfügen weiterhin über eine Armee, eine Polizei und Massenmedien, haben sich Posten und Privilegien verschafft. Ähnlich ist die Lage auf der anderen Seite. Nicht einmal die sogenannte bosniakisch-kroatische Föderation funktioniert. Ein Grund dafür ist, daß die nationalistische Elite der Kroaten im „Staat Herceg-Bosna“ nicht auch nur Teile ihrer Macht an die Föderation abgeben will. Und selbst im muslimisch kontrollierten Gebiet, in dem bislang der Anspruch auf die Entwicklung eines gesamten, übergeordneten Staates erhalten geblieben war, ist die nationalistische Elite seit dem Rücktritt von Haris Silajdžić nun offen tonangebend. Es geht um Posten und Macht.
Paradoxerweise hat die Implementierung des Dayton-Abkommens diesen Eliten sogar die nötige Atempause verschafft, um ihre Herrschaftsbereiche zu konsolidieren. Und weil sie ihre Herrschaft in ihrem jeweiligen Bereich nicht gefährden wollen, sind die Eliten auch nicht bereit, so einfach die Rückkehr nicht zu ihrer „eigenen“ Nation gehörender Flüchtlinge hinzunehmen, die Pressefreiheit zu garantieren oder die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung anzuerkennen. Einerseits haben alle Seiten unterschrieben, freie Wahlen abzuhalten, andererseits werden die demokratischen, nichtnationalistischen, also in allen Teilstaaten wirkenden Parteien behindert.
Angesichts dieser Konstellation ist es nicht gerade förderlich, daß in der internationalen Szenerie wieder Differenzen aufgetreten sind. Böses Blut machte so die Entscheidung des „Hohen Repräsentanten“ Carl Bildt – als Administrator in Bosnien-Herzegowina verantwortlich für die Implementierung des politischen Teils des Abkommens –, als er, abweichend vom Zeitplan, der serbischen Polizei um Sarajevo eine Atempause verschaffte, während die kroatische Polizei fristgerecht aus den Gebieten um Mrkonjicgrad zurückgezogen wurde. Auch das Hickhack um die Kriegsverbrecher schafft Irritationen: Einerseits versprechen US- Kommandeure Unterstützung der Nato für das Haager Kriegsverbrechertribunal, andererseits lassen die französischen Ifor-Truppen Radovan Karadžić ungehindert durch die Kontrollpunkte ihrer Zone fahren.
Die Dynamik der Entwicklung aber erzwingt immer wieder politische Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft. Nur innerhalb einer konsistenten Strategie könnten sie jedoch getroffen werden.
Die Erkenntnis, daß die Herrschaftsstrukturen der nationalistischen Eliten die Entwicklung zu einem dauerhaften Frieden gefährden, hat sich in der internationalen Gemeinschaft noch nicht durchgesetzt. Im Gegenteil: Sie sieht im Aufbau nichtnationalistischer Parteien – wie der Sozialdemokraten, der Liberalen, der bosnischen Republikaner etc., die sich unter Haris Silajdžić zu einem Parteienbündis zusammenschließen wollen – eher einen Störfaktor als einen Fortschritt. Verhandelt wird nur mit Vertretern der nationalistischen Parteien. Weder wurde das Monopol der totalitär ausgerichteten Medien gebrochen, noch wurden Alternativen dazu entwickelt. Selbst der in Dayton garantierte Austausch von Zeitungen und die Bewegungsfreiheit für Journalisten auf dem gesamten Staatsgebiet Bosniens hängen noch immer in der Luft. Und die Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen wird schon jetzt von manchen internationalen Vertretern als „nicht realistisch“ abgetan.
Dabei könnte leicht erkannt werden, wie schnell sich das Leben in Bosnien-Herzegowina normalisiert, wenn der nötige politische Druck entfaltet wird. Mit den Pontonbrücken der Amerikaner über den Save-Fluß fahren jetzt schon Busse von Tuzla über serbisch gehaltenes Gebiet nach Zagreb. Bald könnte dies auch nach Belgrad möglich werden. Es kommt nur auf den politischen Willen der Garantiemächte an, um weitere Erleichterungen durchzusetzen. Der Druck der Öffentlichkeit, sich für demokratische Prozesse und Sicherheitsgarantien bei der Rückkehr der Flüchtlinge einzusetzen, wäre hilfreich für den Friedensprozeß in Bosnien-Herzegowina. Erich Rathfelder
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