: Das Dach von Herrn Machinek
■ Berliner Zimmer, Teil 13. Eine Besuchsreihe von Falko Hennig
Ach, is ditt schön hier oben. Meine Urgroßeltern haben immer hier oben gesessen, auch Mieter des Hauses bis 1966/67, da wurde es abgerissen. Da wurde die Erde abgetragen vom Dach, damals war richtig Blumenerde druff. Und nach der Wende, als ick denn renoviert habe, da hat dann eine Dachbegrünungsfirma wieder 'n Gründach gemacht. Dann hab' ick diese kleene Hütte errichtet. Bis zum Einsetzen des Krieges stand da ooch so 'ne kleene Hütte oben. Aber dann mußte die aus brandtechnischen Gründen... na ja, der Krieg hat ja vieles versaut. Aber dies Haus Gott sei Dank stehen lassen. Ich nehme an, daß mein Urgroßvater die ursprüngliche Hütte errichtet hat, als er das Haus gebaut hat. Der war Maurermeester.
Die alte Hütte kenn' ick nicht mehr. Die hat nach'm Krieg nicht jestanden, ist ooch nie wieder errichtet worden. Und so '67 rum hat die damalige DDR hier halt 'ne Grundsanierung jemacht, wie man's am Nachbarhaus sieht, so Fassade 'n bißken, da kam das ganze Erdreich hier runter. Jetzt hamm wa so 'n Lavagestein, wat also die Feuchtigkeit sammelt und janz leicht ist, ditt hamm wa nu jetzt hier oben druff. Und da wachsen so winterharte Kakteen. Die gehn im Herbst in die Erde zurück, schrumpeln ein, verlieren ihren Wassergehalt. Und im Frühjahr kommt ditt wieder und blüht ooch. Rot, weiß, grün, gelb.
Im Prinzip bin ick täglich hier oben, weil ick ooch gießen muß. Mein Oleander, zwei Flieder, da hinten an der Mauer wilder Wein, Pfefferminze, damit ick ooch mal Tee holen kann. Ick hab' ditt immer gehört, von der Familie her, daß die hier oben ihren Sommer verbracht haben, hamm hier jesessen mit 'nem Gartentisch. Und ick kenn ooch Mieter, die nach'm Krieg mit 'nem Liegestuhl hier oben waren. Da hab' ick jesagt: Jetzt machste Dir ditt wieder.
Wenn's wirklich mal überraschend anfängt zu regnen und man hat Besuch hier, dann gehen wir mit der Kaffeetasse in die kleene Hütte rin. Ick hab' mir hier drin ooch schon, wenn 'n schöner Sommer war, eine Luftmatratze hingelegt und meine Sommernächte verbracht. Nebenan hab' ick mir so 'n kleenes Klo gebaut. Abfluß, Spülklo. Meinen alten Fernseher, meine alte Stereoanlage hochjeschafft, Kühlschrank, Waschtisch, Wasser jibt's ooch. Allet da, man kann hier also, wenn ick unten nicht verjesse umzustöpseln, sogar telefonieren. Nun ham se dieses Jahr digitalisiert, da muß ick mir nächstes Jahr 'n digitales Telefon koofen. Dann will ick ooch die Hütte abreißen und wat Neues machen, was Stabileres. Nicht vom Gewicht, sondern von der Konstruktion. Die alte hat in den fünf Jahren jelitten, es regnet überall durch...
'92 hab ick hier renoviert und da hamm wa dann wiederbegrünt. Ick hab' hier immer gelebt, gewohnt, und meine Tanten, meine Mutter, ick, wir ham das Haus immer selber verwaltet. Es ist heute ein teurer Spaß, es sind 160.000 Westmark übriggeblieben als Schuldenlast. Heute kommt die Bank, faßt mir von hinten auf die Schulter und sagt: „Lieber Freund, wir kriegen monatlich 8.000 Mark von dir.“ In der DDR hab' ick halt rund 300.000 Schulden jehabt, hab' aber weder Zinsen noch sonst was gezahlt. Ick hab' halt meine Miete abführen müssen an die Bank und nischt übrig jehabt. Aber wenn Kredite nötig waren, um irgend etwas zu bauen, dann hat man die in fast unbegrenzter Höhe gekriegt.
Die Schwierigkeit bestand darin: Man kriegte nicht die Handwerker. Die wurden einem nicht zugeteilt, und wenn ick halt zur Sparkasse kam und sagte: „Mädels, ick brauch' hier 22.000 Mark, ick muß hier uff'm Hof Beton machen“ – dann haben die die Hände überm Kopf zusammengeschlagen und jesagt: „Um Himmels willen, aber keine Handwerker, aber keine Handwerker.“ Und ick hab' jesagt: „Nee nee, dit mach' ick mit zwee Mietern.“
Die Hütte is von Quelle aus'm Katalog für 'n paar Mark. In Einzelteilen hochjetragen und zusammengesetzt. So 'n Plateau jemacht, damit es nach unten einigermaßen gerade ist. Mit gespundeten Dielenbrettern. Ungefähr 260 Quadratmeter insgesamt an Fläche hier oben. Ist schon schön. Hier läßt es sich aushalten. Aus Sicherheitsgründen würde das diesem oder jenen ärgern, aber hier kommt keener hin, hier ist zugeschlossen. Andere Leute dürfen hier nicht ruff. Den Zaun hab ick ooch nach bestem Gewissen so jemacht, daß hier keener runterstürzt. Hier wird weder 'n Trinkgelage jemacht noch sonst wat. Hier sitzt man halt in der Abendsonne und schaut zu, wie der Hubschrauber rummacht oder wie se die Fernsehantenne bauen vom Fernsehturm. Oder amüsiert sich, wie Berlin wächst. Es ist ja ein wunderschöner Ausblick, hinten sieht man ja bis zum Funkturm, Europa-Center, Kuppel vom neu entstehenden Reichstag, wo denn der Bundestag drin ist. Man sieht hier das ganze Panorama, eine vorzügliche Situation.
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