■ Das „Bündnis für Arbeit“ der IG Metall greift in vielem zu kurz. Und doch muß der Vorschlag gerettet werden: Ein Schuß aus der Hüfte
Dem IG-Metall-Vorsitzenden Zwickel gelang etwas Seltenes: positive Schlagzeilen. Für 300.000 neue Arbeitsplätze, 30.000 befreite Langzeitarbeitslose und ungekürztes Arbeitslosengeld wollte er im Gegenzug das bevorstehende Tarifritual unterlassen und eine Lohnanhebung nur in Höhe der Inflation akzeptieren. Dieser Vorschlag zu einem „Bündnis für Arbeit“ war neu. Und doch war man sich weit und breit schnell einig: Das sei nicht machbar. Löhne seien nur ein und nicht der wichtigste Faktor für Wirtschaftlichkeit. Metall-Arbeitsplätze würden in jedem Fall weiter abgebaut, an neue sei gar nicht zu denken. (Vorab-)Garantien gebe es in der Marktwirtschaft prinzipiell nie, und wer sollte sie auch kontrollieren? Die Regierung denke eh an nichts als an Sozialabbau. Für Langzeitarbeitslose existiere schon ein Programm. Auch Freizeitausgleich für Überstunden mache noch keine Arbeitsplätze. Ein Pakt – und das mit nur einem Sieger, der Gewerkschaft – komme nicht in Frage, beschied die Arbeitgeberseite. Verrat und Zwickel auf Rappe-Kurs, riefen Altlinke. Und die wohlwollende Reaktion der Bundesregierung nützte vor allem ihr selbst. Dem Anschein nach ist alles eine Seifenblase, höchstens Taktik. Und trotzdem wird seit gestern über das „Bündnis“ geredet.
Die Produktivität der Arbeit wächst, die Arbeitslosenzahlen stiegen trotz Wirtschaftswachstum auch 1995. Der Markt ist globalisiert, er stößt an keine „sozialistischen“ Schranken mehr, und ein konkurrenzloser Kapitalismus hat keinen Mechanismus mehr zur Selbstkorrektur. Die Grundlagen und Spielregeln des bisherigen Sozialstaates sind vom sozialen Wandel ausgehöhlt. Die Überlebensbedingungen für Gewerkschaften sind katastrophal. Das Tarifsystem wird faktisch unterhöhlt. Die Gewerkschaft schrumpft. Und auch der Tarifpartner geht gerade verloren. Zwickel hat sich gerade aus dem Eisloch auf das Glatteis gerettet. Mit dem „Bündnis für Arbeit“ versucht er, die Lage politisch wieder unter Kontrolle zu bekommen in der Hoffnung, alle Beteiligten bevorzugen die kollektive Steuerung des Wandels gegenüber der wilden Schlacht.
Das Beste an seinem Vorschlag ist die politische Öffnung der Gewerkschaft für die Außenstehenden – die Erwerbslosen. Aufatmen läßt die Erinnerung an das politische Vermögen der Gewerkschaften, wenngleich sie ihr degeneriertes Kreuz dafür erst einmal trainieren müßten. In der Erkenntnis der Abhängigkeit der Antagonisten voneinander ist es auch nützlich, das Konfliktregelungsrepertoire über Konfrontationsstrategien hinaus zu erweitern. Wer einen „Pakt“ mit Arbeitgebern und Regierung will, muß allerdings eine Ahnung haben, wie er dabei trotz der eigenen Notlage konfliktfähig sein und Hierarchien korrigieren kann. Sachlich und politisch muß ein Pakt zwingend ein gesellschaftlicher Pakt sein, der alle sozialen Schichten umfaßt und der auf einen demokratisch-sozialen Neugründungsakt der BRD nach 1989 hinausläuft. Die IG Metall aber guckt nur nach oben.
Weise ist auch die Infragestellung hausgemachter Tabus und die Bereitschaft, einen eigenen Beitrag für neue Problemlösungen zu leisten. Gegen den angebotenen Lohnverzicht läßt sich nur solange etwas einwenden, solange in alten Kategorien gedacht oder tatsächlich nur die Unternehmer gefüttert werden sollen. Wer aber halbwegs Freiheit und Gerechtigkeit in einer ökologischen Welt will, kann gegen neue Verteilung von allen Reicheren hin zu Ärmeren kaum etwas einwenden. Die Teilungsbereitschaft der IG Metall geht in dieser Hinsicht nur nicht weit genug. Eine weitere Arbeitszeitverkürzung, eine konkrete Zahl für Mindestlöhne und gerechte Bedingungen für Teilzeitarbeit müssen hinzukommen. Riskant und fragwürdig ist es dagegen, Einstiegslöhne für Langzeitarbeitslose herabzustufen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist das existentielle Solidarprinzip der Gewerkschaft. Diese Anpassung an die Macht des Faktischen läßt sich allenfalls mit „minderer“ Leistung in einer Einübungsphase rechtfertigen. Dann freilich müßte alle Arbeit nach Leistung neu bewertet werden. Überstundenzuschläge müßten fallen, Überstunden aber für den Arbeitgeber überdurchschnittlich hoch besteuert werden. Hochproblematisch dabei ist die fehlende Mobilisierung der eigenen Gewerkschaftsbasis.
Die IG-Metall-„Offensive“ ist ein zu kleinmütiger Schuß aus der Hüfte: zu wenig Ladung, gegen Mißbrauch nicht abgesichert, unzureichend adressiert, die eigenen Leute verunsichernd – woher soll da die Durchsetzungsfähigkeit kommen? Statt Bewegung in die Diskussion zu bringen, wird nun eher die Gewerkschaft freundlich oder böse abgebürstet. Dennoch gibt es zwei wundschürfende Reizwörter. „Gesellschaftlicher Pakt“ erinnert an ein Angewiesensein, das nicht mehr einfach in Gestalt von Unterwerfung und Herrschaft zu gewährleisten ist. Der Vorwurf, die Arbeitslosigkeit lasse Arbeitgeber und Regierung „kalt“, läßt diese so empfindlich aufheulen, weil sich auch Wirtschaftspolitik demokratisch legitimieren muß. Der Vorschlag Zwickels muß gerettet werden. Flexiblere und phantasievollere Antworten darf man auch von Unternehmern erwarten. Warum keine Fonds zur Arbeitsbeschaffung in anderen Branchen? Warum keine weitere Arbeitszeitverkürzung im Einzelfall, bis Neueinstellung sich rentieren? Warum keine freiwillige Reduktion von Spitzenlöhnen?
Ein geöffnetes Bündnis könnte sich generell darauf verständigen, daß wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen nötig und wünschenswert sind und daß dazu einige Bedingungen unverzichtbar sind. Eine demokratische Verständigung und öffentliche Mitbestimmung helfen nicht nur bei der Durchsetzbarkeit, sondern vor allem auch in der Sache. Ganz rasch muß ein Schritt einer Sozialreform vollzogen werden, mit dem den einzelnen ein Minimum für die Existenz garantiert wird. Für die Verlierer des sozialen Wandels muß es erklärtermaßen einen Ausgleich, möglichst eine sinnvolle Konversion ihrer bisherigen Arbeitsverhältnisse geben. Das setzt eine enorme, aufgeklärte Konfliktaustragung voraus, in der auch „Zwangsmaßnahmen“ von Verbrauchern und Arbeitnehmern kein Tabu sein können. Wenn Frankreich nicht von alleine wirkt, muß es nachgeahmt werden. Das aber wird nicht von den Gewerkschaften (allein) kommen. Es fragt sich, wie Intellektuelle, Mittelschichten, Bürgerinitiativen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Gesundheitswesen, Sozialarbeiter, SPD, Grüne und PDS politisch agieren. Mechtild Jansen
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