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■ Das „Bündnis Türkischer Einwanderer“ hat Lösungsvorschläge zur AsylproblematikHöchste Zeit für einen Konsens

Zwei Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands, die auch wir Einwanderer emotional und finanziell unterstützen, befinden wir uns atmosphärisch und faktisch in einem völlig veränderten, von Rassismus, Ausländerhaß und Antisemitismus geprägten Deutschland. Nicht nur bei uns, weltweit wird sehr ernst und besorgt danach gefragt, ob das vereinigte Deutschland erneut in Weimarer Verhältnisse treibt. Das Ansehen dieses, auch unseres Landes, ist weltweit stark erschüttert.

Die türkische Bevölkerung lebt und arbeitet seit über drei Jahrzehnten friedlich in Deutschland und erfüllt alle staatsbürgerlichen Pflichten. Wir haben stets kategorisch jede Art von Gewalt, auch zur eigenen Verteidigung, abgelehnt. Die Neigung zur Verteidigung wächst jedoch und wird konkrete Formen annehmen, wenn sich die Situation zuspitzen sollte.

Uns sind die Schwierigkeiten durch die Zuwanderung der letzten Jahre wohl bekannt. Es war aber vorauszusehen, daß Deutschland nicht jährlich über eine halbe Million Asylsuchende und Aussiedler ohne größere Reibungen aufnehmen kann. Gerade deshalb werfen wir allen politisch Verantwortlichen Versagen und Taktieren aus politischem Kalkül vor. Trotz eindeutiger Signale bei den Wahlen der letzten Jahre wurde die Asyldebatte nicht beendet, sie wurde im Gegenteil verschärft weitergeführt, ohne Lösungen anzubieten. Im Interesse des sozialen Friedens und der Demokratie in Deutschland wollen wir zur Lösung des Gesamtthemas mit folgenden konkreten Vorschlägen beitragen.

Quoten für Wirtschaftsflüchtlinge

Eine Grundgesetzänderung oder Ergänzung des Art. 16 GG allein wird die Zuwanderung vom Süden oder Osten in den reichen Westen/ Norden nicht eindämmen. Deshalb brauchen wir: — eine Regelung bei Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen, — eine Regelung über die Zuwanderung von Aussiedlern, — eine Klärung des Rechtsstatus der nach Deutschland Eingewanderten, — eine Beschränkung des Asylrechts auf politisch Verfolgte sowie — eine klare Abgrenzung zu allen übrigen Flüchtlingen.

1. Deutschland und andere westeuropäische Staaten werden auch in Zukunft mit Zuwanderern aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen konfrontiert werden. Diese Zuwanderung muß aber kontrollier- und regulierbar sein. Deshalb braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz mit einer Quotenregelung. Diese sollte von Vertretern der Regierung, der politischen Parteien, Verbände, Kirchen und Hilfsorganisationen festgelegt werden.

2. Ein Großteil derer, die in den letzten Jahren nach Deutschland kamen, sind Aussiedler. Gerade sie treten — wenn überhaupt — als Konkurrenten bei der Arbeits- und Wohnungssuche auf. Deshalb bedarf die Zuwanderung insbesondere dieser Gruppe ebenfalls einer überschaubaren Regelung, da weit über zwei Millionen potentielle Aussiedler in Kasachstan, Rußland, Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei bereitstehen. Auch die Anzahl der Aussiedler muß in das Konzept einer Quotenregelung einbezogen werden.

3. Ein sehr großer Teil der Ausländer und ihrer Familienangehörigen, die als Arbeitsimmigranten nach Deutschland kamen, leben seit Jahrzehnten hier. Ein Drittel von ihnen sind mittlerweile gebürtige Bundesrepublikaner oder in Deutschland aufgewachsen. Dieses Land ist für sie zur Heimat geworden.

Häufig wird die deutsche Bevölkerung mit falschen Informationen verängstigt, wenn behauptet wird, in Deutschland lebten prozentual weit mehr Ausländer als in den Nachbarstaaten. In Frankreich, Großbritannien, in den Niederlanden etc. wird eine andere Einbürgerungspolitik praktiziert. Viele, die aus ehemaligen Kolonien kamen, besaßen bereits die Staatsbürgerschaft dieser Länder. Die in Frankreich und Großbritannien geborenen Kinder der Einwanderer erwerben automatisch die neue Staatsbürgerschaft. Besonders Frankreich und Großbritannien, Schweden, die Niederlande und Dänemark, aber auch fast alle übrigen Nachbarstaaten praktizieren eine weit liberalere Einbürgerungspolitik, oft auch unter Beibehaltung der alten Staatsbürgerschaft.

Zu Intoleranz und Haß gegenüber Ausländern trägt die bisherige falsche und zum Teil orientierungslose Ausländerpolitik entscheidend bei. Daher müßte die Einbürgerungspolitik in Deutschland grundlegend geändert und der längst vollzogenen Entwicklung angepaßt werden. Die bisherige Einbürgerungspolitik nach deutschem Blut und aufgrund deutscher Abstammung ist rassistisch. Deutschland hat deshalb weltweit die niedrigsten Einbürgerungsquoten. Daher fordern wir:

— allen in Deutschland geborenen Einwandererkindern von Amts wegen die deutsche Staatsbürgerschaft zu gewähren, und zwar ohne das Verlangen der Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft;

— den in Deutschland dauerhaft lebenden Einwanderern nach Erfüllung bestimmter Kriterien (z.B. 8 Jahre regelmäßiger Aufenthalt, keine schwerwiegenden Straftaten) den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft als Regeleinbürgerung zu gewähren, ohne erzwungene Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft.

Für ein Antidiskriminierungs-Gesetz

4. Für politisch Verfolgte im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention muß das Asylrecht ohne Einschränkung bewahrt bleiben. Asylsuchende sowie anerkannte Asylbewerber müßten in menschwürdigen Verhältnissen in Deutschland leben und arbeiten können. Menschen, die nach Angaben des UN- Flüchtlingskommissars aus Ländern kommen, in denen es keine politische Verfolgung gibt, sollten nicht in ein Asylverfahren aufgenommen werden. Sie könnten vielmehr aus ihrem Heimatland heraus im Rahmen der Zuwanderungsquoten versuchen, nach Deutschland zu kommen.

5. Kriegs- und Katastrophenflüchtlinge, wie zur Zeit aus dem ehemaligen Jugoslawien, sollten ohne Asylverfahren für die Dauer des Krieges aufgenommen werden. Eine Lösung der Asylfrage wird nur dann etwas bewirken, wenn dies im Rahmen einer Gesamtkonzeption geschieht, da sonst bei der Bevölkerung geweckte Erwartungen stets aufs neue enttäuscht werden.

Unabhängig von dieser Aufgabenstellung müssen alle rassistisch oder antisemitisch motivierten Gewalttaten, Angriffe und Beschimpfungen mit eindeutig formulierten Gesetzen verfolgt und rasch abgeurteilt werden. Hierfür ist ähnlich wie in Frankreich, den Niederlanden, Schweden, den USA und vielen Ländern gerade auch in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz dringend erforderlich.

Es ist an der Zeit, den Mut für eine dauerhafte Gesamtlösung zu finden. Es ist an der Zeit, über die Parteigrenzen hinaus einen Konsens in dieser sensiblen Frage zu erreichen. Es ist höchste Zeit, zu handeln! Hakki Keskin (Sprecher)

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