piwik no script img

Darwin und die Suche nach den UrsprüngenDas Tier in dir

Im Medium der Kunst kann man besser sehen, dass schon die Natur die Augen aufgeschlagen hat: die große Schau in der Frankfurter Schirn zu Charles Darwin und der Suche nach den Ursprüngen.

Die Antropoiden von Frantisek Kupka (1902). Bild: schirn kunsthalle/vg bild-kunst/martin polak

Es sind diese Bilder, die dem Betrachter noch lange nach dem Verlassen der Ausstellung nicht aus dem Kopf gehen: zwei melancholisch wirkende Äffchen, von denen das ältere eine blonde Puppe, sie stellt ein kleines Mädchen dar, in seinem Schoß birgt, während das kleinere Äffchen die Puppe berührt - der Maler, Gabriel von Max, gab dem Gemälde den Namen "Anthropologischer Unterricht".

Sodann ein Fels im Meer, auf ihm hingelagert eine menschliche Frau, sie greift eine Schlange sowie - mit abgewandtem Rücken - eine männliche Meeresgottheit, die ein Muschelhorn bläst. Arnold Böcklin hat es gemalt.

Mit dem Namen Darwin verbinden wir im Allgemeinen entweder die Feier einer rückhaltlosen Aufklärung oder die Erinnerung an eine menschenfeindliche Ideologie, den Sozialdarwinismus. Die jetzt in der Frankfurter Schirn eröffnete Ausstellung "Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen" zeigt und beweist, dass es um mehr, um viel mehr geht: um die Begegnung des Menschen mit seiner Natur.

Es war Sigmund Freud, der sich in einem berühmten Diktum als letzter von drei großen Kränkern des Menschengeschlechts profilieren wollte: nach Kopernikus, der den Menschen aus der Mitte des Alls gerissen hatte, und Charles Darwin, der ihm die biblisch beglaubigte Sonderstellung vor allen anderen Lebewesen absprach, war es endlich Freud selbst, der dem Menschen mit der Entdeckung des Unbewussten absprach, Herr im eigenen Haus zu sein. Dass Darwins Einsichten in ihrer erschütternden Wirkung jenen Freuds in nichts nachstanden, zeigt die Kunst wider Erwarten deutlicher als jede Auseinandersetzung um den Kreationismus im Schulunterricht.

Es waren späte Romantiker, Surrealisten, Symbolisten und auch Realisten, die sich von Darwin inspirieren ließen und sich aufs Neue jener Frage zuwandten, die die Menschheit von Anbeginn fesselte: der Frage nach der eigenen Natur, der Zugehörigkeit zur Natur und dem Verhältnis zu jenen Lebewesen, in denen sich das menschliche Gemüt so deutlich zu spiegeln scheint, den Tieren.

Dass Menschen und Tiere viel miteinander gemein haben, war stets bekannt: Seit der Fabelliteratur der Antike wurden Menschen als Tiere dargestellt. Dass diese Gemeinsamkeit indes mehr als nur eine äußerliche Ähnlichkeit war, nämlich auf einer gemeinsamen Abstammung beruhte, das beglaubigte mit der Autorität der Wissenschaft vor allem, aber nicht nur, Charles Darwin. Es war der beliebte Zoologe und Volksschriftsteller Alfred Brehm, der viele seiner Zeitgenossen mit der Feststellung schockierte, dass auch der Mensch nur ein Säugetier unter anderen sei. Je tierischer der Mensch, umso menschlicher - zumindest in Brehms Tierleben - die Tiere.

Wie viel Tierheit ist im Menschen und wie viel Menschheit, eventuell auch Menschlichkeit west im Tier? Wie groß ist die Sehnsucht jedenfalls der Menschen nach der verlorenen Unschuld der Tiere? Auf Arnold Böcklins Gemälde "Triton und Nereide" scheint die Grenze unüberwindlich - gerade die intime Nähe der menschlichen Frau und des behaarten und fischschwänzigen Meerestrolls beweisen es. Unfähig, zusammenzukommen, wendet er sich ab, um das Muschelhorn zu blasen, während sie verlangenden Blicks nach einer Meerschlange greift.

Die Frau, das Weib als Inbegriff der Menschheit in ihrer Nähe zur Natur? George Frederic Watts, er lebte von 1817 bis 1904, malte Ende des 19. Jahrhunderts die biblische Eva dreimal: als üppige, versuchende Frau, die sich in einen blühenden Baum schmiegt, ihr zu Füßen ein Leopard, das Tier des Dionysos; sodann als jenes Wesen, das nach biblischer Auskunft "Männin" genannt werden wird, sowie als reuige Sünderin. Als "Männin" aufrecht stehend, von Strahlen göttlichen Lichts getroffen, strebt sie nach oben, als reuige Sünderin hingegen kriecht sie zurück ins Dunkel der vegetativen Lebens.

Watts wollte die Einsichten der Evolutionstheorie mit dem Glauben an Gott verbinden, nicht anders als Frederic Edwin Church, 1826 bis 1900, der geologisch gebildet und genau beobachtend südamerikanische Landschaften von einer überwältigenden Schönheit malte; über einem von ihm gemalten Wasserfall erhebt sich ein Regenbogen, den der gläubige Christ gewiss in Anspielung auf Gottes Verheißung nach der Sintflut malte. Das hohe Alter von Gesteinssedimenten und die paläontologischen Nachweise, dass die Welt nicht in sechs irdischen Tagen geschaffen werden konnte, vermögen das Staunen über die Schönheit der hier als Schöpfung verstandenen Welt nicht abzuwürgen.

Ebenso wenig kann jedoch das Staunen über die Schönheit die Angst vor der Grausamkeit der (eigenen) Natur zum Schweigen bringen. Dass es unter den Urmenschen - soweit man ihre Physiognomie anhand der damals gefundenen Schädel rekonstruieren konnte - brutal und ungeschlacht, auf jeden Fall aber eher trübsinnig zuging, das suggerieren französische Gemälde, Bilder aus einem Land, in dem Darwins Lehre lange Zeit vehement abgelehnt wurde.

Leon Maxime Faivre, er wurde 1856 geboren und starb nach einem langen Leben 1941, zeigt in naturalistischer Manier Kampf- und Fluchtszenen aus dem Leben von Höhlenmenschen, während Frantisek Kupka (1871 bis 1957) in seinem 1902 geschaffenen Bild "Antropoides" in an zeitgenössische Werbeästhetik erinnernden Farben und Formen den Kampf zweier männlicher Affenmenschen um ein überaus hässliches, hochgewachsenes Affenweib zeigt - eine Szene, wie sie Sigmund Freud bei seinen Spekulationen über den Vatermord der Vormenschen vorgeschwebt haben mag.

In der strahlenden Schönheit der tropischen Pflanzenwelt sowie der unverhohlenen Grausamkeit des Tieres, des Affenmenschen, tritt den Menschen des ausgehenden 19. Jahrhunderts die tiefe, letztlich unzuverlässige Zweideutigkeit der eigenen Natur entgegen. Charles Darwin und seine Anhänger verweisen auf die Verwobenheit von Mineralien, Pflanzen, Tieren und Menschen und beschwören damit ein Gefühl des Entfremdeten und Unheimlichen, das etwa im Werk von Max Ernst und Radierungen von Alfred Kubin seinen Ausdruck gefunden hat. Eine Entwicklung, die im Anorganischen und dann Pflanzlichen begonnen hat, kann dereinst - Max Ernsts Gemälde und Radierungen sind kaum anders zu deuten - auch wieder in unpersönlicher, pflanzlicher oder mineralischer Natur enden.

Was der Symbolist Odilon Redon im späten 19. Jahrhundert drastisch in Gestalt von hybriden, fragmentierten Wesen, die Albträumen zu entstammen scheinen, gesehen hat, hat Alfred Kubin in Gemälden und Radierungen zur Entfaltung gebracht: kleine oder ohnmächtige Menschen, die von geisterhaften Tierschwärmen oder riesigen Tieren bedroht werden. Max Ernst hat schließlich - auf vielen Gemälden - menschliche Umrisse in Pflanzenform versteinern und vegetativ wuchern lassen - das Zerfließen und Ineinanderübergehen der gewohnten Formen dementiert jede Idee von der Natur als Heimat.

Indes: "Was Natur vergebens vermöchte", so Adorno in einer berühmten Passage seiner "Ästhetischen Theorie", "vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf." Die Frankfurter Ausstellung widerlegt Adorno in gewisser Hinsicht. Lehrt sie doch, im Medium der Kunst besser zu sehen, dass die Natur die Augen aufschlagen kann und tatsächlich aufgeschlagen hat.

Gabriel von Max war gegen Ende seines Lebens ein Menschenfeind, der mit vielen Affen zusammen in einer Villa am Starnberger See lebte, er fotografierte die Tiere und porträtierte sie auf Basis seiner Fotografien alleine oder in Gruppen mit feinem Pinselstrich. Diese Affen betrachten Gemälde, blicken ein menschliches Skelett an, sind neugierig oder auch aufmerksam, oft verstört, doch niemals fröhlich. Trauriger als sie blickt nur eine ebenfalls von Gabriel von Max imaginär porträtierte kleine Familie von affenartigen Vorfahren des Menschen auf den Betrachter: Trauer schon vor aller Kultur.

Gabriel von Max Bilder lassen offen, ob es dem Maler um ein Gleichnis ging, ob es also den Äffchen in der menschlichen Umgebung ebenso geht wie den Menschen selbst im Gehäuse kultureller Hörigkeit oder ob sie - die Tiere - es sind, die die Menschheit überleben werden. Das undatierte Bild mit dem Titel "Sintflut" zeigt eine verängstigte Affenfamilie in einer Felsspalte, während draußen das Wasser steigt. Hier ist kein Regenbogen in Sicht.

Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, bis 3. Mai 2009. Katalog: Wienand Verlag, 30 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!