■ Daumenkino: Darkly Noon
Ort der Handlung ist ein kleines Gut im Wald, ein Holzhaus und gegenüber ein Schuppen. Mühelos erkennt man das Stereotyp der Siedlerkultur: Das kleine Glück im Nirgendwo, selbstgeschaffen und immer in Gefahr.
Wenn dann im Abspann verraten wird, der Film sei in Babelsberg und „on location in Sachsen“ gedreht, klärt sich das Dilemma seiner prinzipiellen Unglaubwürdigkeit. Ein Trupp amerikanischer Schauspieler tief im deutschesten Deutschland sollen urige Szenen aus – sagen wir mal – Montana spielen. Falls ihnen das annähernd gelingt, treibt die deutsche Synchronisation es ihnen wieder aus. Der Film ist in seiner psychologischen Zurichtung von enervierender Beispielhaftigkeit.
Es fängt damit an, daß wir es mit einer verführerischen Frau zu tun haben (Ashley Judd als Callie), die selbstverständlich blond ist und die selbstverständlich, wenn sie Schindeln auf dem Dach erneuert, auf ihren Minirock nicht verzichten kann. Auch nach dem Showdown, wenn das sächsische Haus babelsbergmäßig in Asche gelegt ist, steht sie mit O-beinigem Schritt davor Modell.
Es geht damit weiter, daß Darkly Noon (Brendan Fraser) als pausbäckiger Rock 'n' Roller daherkommt, die Frisur auch dann noch gut in Schuß, wenn er in Stacheldraht gekleidet dem Wort Gottes folgt, indem er zum Schlachten ansetzt. Der Film handelt nämlich von religiösem Wahn.
Im Grunde sind die Protagonisten alle ganz sympathisch, und daß die Sache am Ende so gnadenlos schiefgeht, liegt daran, daß in einem ungenannten Land und im immer „Wald“ genannten Wald Konvention und Experiment auf unangenehme Weise aneinandergeraten.
Callie und ihr stummer Freund stehen für das geglückte Modell des anderen Wegs. Man fragt sich allerdings, ob das alternative Traumpaar nicht doch soviel Grips hätte, beim Vögeln die Vorhänge zu schließen. Damit der Zuwanderer mit dem Bibelwahn nicht am Ende ausflippt. Was er dann aber tut. Das muß er auch, denn Philip Ridley (Jahrgang 1960, aus London, Regie und Drehbuch) wollte mit seiner „Schlußszene die 90er-Jahre- Version der Duschszene in ,Psycho‘“ drehen. Tatsächlich hat dieser Film die kinematographische Plumpheit von „Schlafes Bruder“, das einschläfernde Idyllendesign von „Nell“, beides durchkreuzt von billigen Anleihen bei „The Shining“. Was Ridley so gar nicht gelingt, ist, die Schwelle von gewöhnlichem Dissens zur Psychopathologie zu beschreiben. Plötzlich jagt das Zoom über den Waldboden, um zu sagen, daß die Wahrnehmung Darkly Noons einen Knacks bekommt. Es wäre aber gut, wenn der Darsteller diese Entwicklung mit einem überzeugenden Zucken des Mundwinkels schon mal vorweggenommen hätte. Ulf Erdmann Ziegler
Philip Ridley: „The Passion of Darkly Noon“. GB/D 1995
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