: „Dann sitzt man halt nackig auf dem Stuhl“
Eigentlich strippt Jeanette Würzner in der Disco und im Internet. Die Volksbühne hat sie für einen Gastauftritt in Castorfs Inszenierung „Das obszöne Werk: Caligula“ verpflichtet
taz: Frau Würzner, wie finden Sie das Publikum im Theater – verglichen mit dem Publikum, vor dem Sie sonst tanzen?
Jeanette Würzner: Am Anfang war es ungewohnt. Und ich sehe mein Publikum ja nicht, wegen der Scheinwerfer im Theater. Das ist nicht zu vergleichen mit dem Strippen in Diskotheken oder im Internet.
Im Internet?
Ich strippe auch im Internet. Da kann man sich einwählen, zahlt pro Minute und kann gucken, wie wir uns ausziehen. Außerdem können sich die Leute mit uns schreiben. Dann sitzt man halt nackig auf dem Stuhl und ist nur am Schreiben. Das hat nicht so viel mit Tanzen zu tun.
Und was schreiben Sie dann?
Ich beantworte den Leuten Fragen. Manche schreiben ihre Vorstellungen, wie sie sich so den Sex vorstellen mit mir, und ich unterhalte mich dann mit denen.
Das ist ja wie in Castorfs Inszenierung. Da reden die Leute doch auch davon, wie sie sich Sex vorstellen.
Aber das ist anders. Eben Theater. Wenn die mich da am Computer belegen ... manche sind ziemlich ordinär. Jeder guckt dich da an, und einer sagt „Dreh dich mal um“, „Bück dich mal“ und so.
Wie finden Sie denn das Stück an der Volksbühne?
Ich kenne den Hintergrund nicht. Es geht da wohl um einen Kaiser – Caligula. Ich habe auch das andere Buch mal gelesen. Lässt sich ja schwer realisieren – mit dem Anspruch.
Finden Sie, dass man von der Sehnsucht, über die da immer geredet wird, überhaupt was mitkriegt?
Nee, eigentlich nicht.
Ist Theater zu altmodisch?
Kann ich nicht beurteilen. Ich gehe zu selten ins Theater. Das Stück ist jedenfalls nicht altmodisch. Sie stellen alles sehr realistisch dar – so wie die Leute sprechen. In einer Kritik stand: „Und zum Schluss versucht Castorf, das noch mit Silikon aufzupuschen.“ Fand ich ja unmöglich. Die verleumdet mich, die Zeitung! Muss man glatt verklagen!
Neid der Besitzlosen!
Genau! Hatte ich gestern im Internet auch wieder. Da war eine Frau, die hat mich total beleidigt – wegen der Brüste. Ich sage: Du bist doch bloß neidisch.
Eine Frau?
Da wählen sich manchmal Frauen ein. Es gibt aber auch öfter Frauen drinnen, die unter Männernamen schreiben. Das merkt man aber: Was die für Fragen stellen. Die stellt keine Frau, die Fragen.
Inwiefern?
Zum Beispiel die angebliche Frau fragt: „Wie groß muss das ‚beste Teil‘ sein, um mich zu erregen?“ Eine echte Frau würde nie so eine Frage stellen. Eine Frau interessiert so was nicht.
Gehen Sie auf die erotischen Fantasien ein, mit denen die Leute Sie konfrontieren?
Wir spinnen meistens ziemlich rum, wenn wir unsere Sexwünsche aufschreiben sollen. Wir schreiben dann Sachen, die wir zum Beispiel mal im Film gesehen haben. Ich gebe von mir nichts preis. Die Leute sollen in ihrer Scheinwelt leben. Sie sollen ruhig denken, wir sind sexbesessen bis zum Gehtnichtmehr. Dann kommen sie nämlich immer wieder. So ist das Geschäft.
Interview: Esther Slevogt
Jeanette Würzner spielt heute Abend in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, ab 19.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen