■ Bundestag akzeptiert das Christo-Reichstagsprojekt: Danke für diese Enthüllung!
Wir müssen Christo widersprechen. Der Verlauf der Debatte über den Reichstag sei Teil des Kunstwerks, hat der Künstler behauptet. Der Ältestenrat hätte alleine entscheiden können, und er hätte für die Verhüllung gestimmt. Aber die Projektgegner wollten die Debatte. Und diese war nicht erhebend, aber ziemlich lehrreich.
Wir leben angeblich am Übergang zum nächsten Jahrtausend. Wenn die Bundestagsabgeordneten in wenigen Jahren in Wallots Protzbau residieren, werden sie dort ein Nachfolgemodell des Transrapids aufs Gleis setzen, Gesetze über Gentechnologie flott durchwinken und Gelder für neue Energiequellen freimachen. Und die Unionsabgeordneten werden sich als Zukunftsfetischisten von niemandem übertreffen lassen. Aber CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble sorgt sich um die Würde des Baus, in dem all dies geschehen wird, und beschwört alte Werte. Seiner Sorge gibt er in altfränkischen Wendungen Ausdruck: „So ist der Reichstag zu Berlin steinernes Zeugnis deutschen Schicksals in diesem Jahrhundert“, heißt das dann. Wer das Symbol der „nationalen Identität“ gefährde, legt angeblich gleich Hand an „unsere demokratische Kultur und Gesellschaft“.
Das ist eine Anwendung von Schäubles nationalem Konsolidierungsprogramm, und wer sich dem nicht unterordnet, der gibt die Demokratie preis. Mit dieser Warnung steht der Fraktionschef nicht allein: Kohls Haltung zu Christo ist seit langem bekannt, und die FAZ hat uns schon Mitte der Woche in ähnlichen Wendungen wie Schäuble vor der Verhüllung gewarnt. Mit der „nationalen Identität“ verträgt sich offensichtlich nicht die kulturelle Offenheit, der spielerische Umgang mit der Politik, gar die Ironie (Obacht!), die Christo-Befürworter schätzen.
Schäuble hat versucht, den Erfolg seiner Berlin- Rede vom Juni 1991 zu wiederholen. Aber viele Unionsabgeordnete haben sich durch sein Deutschland- Pathos nicht ansprechen lassen, haben gegen ihn gestimmt.
Jede weitere Gelegenheit wird spannend, bei der dieses vage Programm des Einschwörens auf den gemeinsamen Wert Nation sich abarbeiten muß an konkreten Fragen, bei der die Widersprüchlichkeit von Fortschrittsfetischismus und abgenudelten Sekundärtugenden in Schäubles Ideologie auch für dessen eigene Fraktion kenntlich und unerträglich wird. Danke für diese Enthüllung, Christo...! Hans Monath
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